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Verunstaltung im Sinne der BauO BW 2010 § 11 Abs 1 S 1 Alt 1
Leitsatz
1. Ob eine Verunstaltung im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 Alt 1 LBO (juris: BauO BW 2010) vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg davon ab, ob ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzender Zustand geschaffen wird.(Rn.10)
2. Soweit es in dieser Rechtsprechung ergänzend heißt, dass die bauliche Anlage zu einem Zustand führen müsse, der als grob unangemessen empfunden werde, das Gefühl des Missfallens wecke sowie Kritik und den Wunsch nach Abhilfe herausfordere, wird diese Voraussetzung nur in einer bildhaften Sprache näher umschrieben.(Rn.10)
3. Diese Ausführungen sind nicht dahin zu verstehen, dass die Annahme einer Verunstaltung über das Vorliegen eines hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzenden Zustands hinaus die Feststellung eines besonderen Abhilfebedürfnisses erfordere.(Rn.11)
Fundstellen
 BauR 2017, 872-873 (Leitsatz und Gründe)  VBlBW 2017, 339-340 (Leitsatz und Gründe)  BRS 85 Nr 119 (2017) (Leitsatz und Gründe) weitere Fundstellen ...
Verfahrensgang
vorgehend VG Karlsruhe, 21. Juli 2016, Az: 9 K 663/16, Urteil
Diese Entscheidung wird zitiert
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2016 - 9 K 663/16 - wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer freistehenden, unbeleuchteten Plakatanschlagtafel mit einer Größe von 3,80 m x 2,80 m.
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Die geplante Werbetafel soll auf dem im Ortskern der Beigeladenen gelegenen Grundstück Flst.Nr. ... (... Straße ...) unmittelbar vor der Westseite der auf diesem Grundstück befindlichen Scheune errichtet werden. Mit Bescheid vom 8.10.2015 lehnte das Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis den für das Vorhaben gestellten Bauantrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, das Vorhaben, das innerhalb des unbeplanten Innenbereichs liege und dessen planungsrechtliche Zulässigkeit daher nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen sei, füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Denn die Plakattafel diene der überregionalen Werbung und weise daher keinen Bezug zu der vorhandenen Bebauung auf. Darüber hinaus verstoße das Vorhaben gegen das Verunstaltungsverbot des § 11 Abs. 1 LBO, weil die geplante Werbetafel durch ihre Bauart und Großflächigkeit besonders stark ins Auge falle und eine „hässliche und aufgesetzte Wirkung“ entfalte Sie gefährde außerdem die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, weil sie in direkter Sichtverbindung mit dem Fußgängerüberweg stehe, in einer Kurve liege und unweit ein Radweg in die ... Straße einmünde.
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Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 3.2.2016 zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat am 17.2.2016 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid des Landratsamts vom 8.10.2015 und den Widerspruchsbescheid vom 3.2.2016 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.7.2016 nach Einnahme eines Augenscheins abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, da ihr Vorhaben jedenfalls gegen § 11 Abs. 1 LBO verstoße. Nach dem eingenommenen Augenschein mache das Umgebungsbild um das geplante Bauvorhaben einen im Ganzen gepflegten Eindruck, wobei insbesondere die Bemühungen der Beigeladenen ins Auge fielen, die dem Baugrundstück gegenüberliegende Seite der ... Straße nach Art eines Dorfplatzes zu gestalten. Hinzu komme, dass sich in der Umgebung vergleichbar großflächige Werbeanlagen nicht befänden. Vielmehr habe die Beigeladene großes Gewicht darauf gelegt, dass selbst ortsansässige Unternehmen ihre Außenwerbung dezent gestalteten. Diese Bemühungen zur Erhaltung des harmonischen dörflichen Ortsbilds würden durch die beabsichtigte Errichtung der Werbetafel ebenso zunichtegemacht wie die mit erheblichem Aufwand vorangetriebenen ortsgestalterischen Maßnahmen.
II.
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Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
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1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Klage sei zulässig. Insbesondere fehle es nicht an der Sachurteilsvoraussetzung eines ordnungsgemäß durchgeführten Widerspruchsverfahrens. Zwar habe die Klägerin gegen den ihr am 13.10.2015 zugestellten Bescheid des Landratsamts erst am 16.11.2015 und somit nach Ablauf der Frist des § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch eingelegt. Dies sei jedoch unschädlich, da die Widerspruchsbehörde den Widerspruch sachlich beschieden und damit die Verfristung geheilt habe. Die Klägerin wendet hiergegen ein, dass sie bereits am 13.11.2015 - und somit noch innerhalb der Widerspruchsfrist - per Fax Widerspruch gegen den Bescheid des Landratsamts eingelegt habe. Die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwunderten daher.
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Die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird mit diesem Einwand nicht in Frage gestellt, da das Verwaltungsgericht die Klage trotz der von ihm angenommenen Verfristung des Widerspruchs als zulässig angesehen hat. Die Frage, wann die Klägerin gegen den Bescheid des Landratsamts Widerspruch eingelegt hat, kann daher dahin stehen.
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2. Die Klägerin macht ferner erfolglos geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht zwischen dem „umgebungsbezogenen Verunstaltungsverbot“ des § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO und dem „baugestalterischen Beeinträchtigungsverbot“ des § 11 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. LBO differenziert, sondern beide Tatbestände miteinander vermengt.
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Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LBO sind bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht beeinträchtigen. Die Vorschrift enthält daher, wie die Klägerin zu Recht annimmt, zwei unterschiedliche Tatbestände. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht von einem Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot in § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO ausgeht. Der Umstand, dass es im Zusammenhang mit der Beschreibung der Umgebung des Baugrundstücks die Bemühungen der Beigeladenen erwähnt, „die dem Baugrundstück gegenüberliegende Seite der ... Straße nach Art eines Dorfplatzes zu gestalten“, steht dem nicht entgegen, da es sich damit nicht auf bloße Gestaltungsabsichten, sondern auf bereits verwirklichte gestalterische Bemühungen der Beigeladenen bezieht. Dies zeigt auch die später gemachte Bemerkung, dass mit der Errichtung der geplanten Werbetafel die Bemühungen der Beigeladenen zur Erhaltung des harmonischen dörflichen Ortsbilds sowie die mit erheblichem Aufwand vorangetriebenen ortsgestalterischen Maßnahmen zunichte gemacht würden.
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3. Nach der ständigen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. u.a. Urt. v. 26.7.2016 - 3 S 1241/15 - juris; Urt. v. 9.2.2009 - 3 S 2290/07 - VBlBW 2009, 466; Urt. v. 12.8.1993 - 5 S 1018/92 - juris) liegt eine Verunstaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO vor, wenn ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand geschaffen würde. Dies ist dann der Fall, wenn die Störung erheblich, d.h. wesentlich ist. Maßgebend ist dabei das Empfinden des gebildeten Durchschnittsbetrachters, d.h. eines für ästhetische Eindrücke offenen, jedoch nicht besonders empfindsamen und geschulten Betrachters. Die bauliche Anlage muss zu einem Zustand führen, der als grob unangemessen empfunden wird, das Gefühl des Missfallens weckt sowie Kritik und den Wunsch nach Abhilfe herausfordert. Ob eine Werbeanlage eine solche Wirkung hervorruft, ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei auch die Funktion des jeweils betroffenen Baugebiets zu berücksichtigen ist. Bei Plakatanschlagtafeln ist ferner zu beachten, dass sie durch ihre Großflächigkeit besonders stark in Erscheinung treten und dass die wechselnden Plakatanschläge nach Form, Farbe und Inhalt nur nach dem Gesichtspunkt einer möglichst eindringlichen Wirkung auf den Betrachter, nicht aber unter Berücksichtigung des jeweiligen Anbringungsortes gestaltet werden (vgl. u.a. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.10.1992 - 3 S 2490/91 - juris).
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Von diesen Grundsätzen ist erklärtermaßen auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Das wird auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Sie wirft dem Verwaltungsgericht jedoch vor, die Rechtsprechungsvorgaben zur Annahme einer Verunstaltung nicht konsequent berücksichtigt zu haben, da es sich damit begnügt habe, die vermeintliche Hässlichkeit der geplanten Werbetafel festzustellen, ohne zu prüfen, ob sich daraus auch ein Abhilfebedürfnis ergebe. Die Klägerin missversteht damit die genannte Rechtsprechung. Ob eine Verunstaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO vorliegt, hängt danach entscheidend davon ab, ob ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzender Zustand geschaffen wird. Soweit es in der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg ergänzend heißt, dass die bauliche Anlage zu einem Zustand führen müsse, der als grob unangemessen empfunden werde, das Gefühl des Missfallens wecke sowie Kritik und den Wunsch nach Abhilfe herausfordere, wird diese Voraussetzung nur in einer bildhaften Sprache näher umschrieben. Diese Ausführungen sind nicht dahin zu verstehen, dass die Annahme einer Verunstaltung über das Vorliegen eines hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzenden Zustands hinaus die Feststellung eines besonderen Abhilfebedürfnisses erfordere. Die genannten Fälle, in denen ein solcher Zustand geschaffen wird, sind nicht voneinander zu trennen, sondern gehen ineinander über, da das Empfinden eines grob unangemessenen Zustands nicht nur das Gefühl des Missfallens sondern auch - zumindest in der Regel - den Wunsch nach Abhilfe einschließt.
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4. Mit dem weiteren Einwand der Klägerin, dass durch ihr Vorhaben unter Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort eine umgebungsbezogene Verunstaltung nicht bewirkt werde, sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht dargetan.
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Das Verwaltungsgericht hat seine Ansicht, dass die geplante Werbetafel an der vorgesehenen Stelle vor dem Hintergrund des vorhandenen Straßenbilds als hässlich erscheinen und damit verunstaltend wirken würde, damit begründet, dass die Umgebung des Baugrundstücks einen im Ganzen gepflegten Eindruck mache, wobei insbesondere die Bemühungen der Beigeladenen ins Auge fielen, die dem Baugrundstück gegenüberliegende Seite der ...-Straße nach Art eines Dorfplatzes zu gestalten. In diesem Bereich befinde sich der neu angelegte Vorplatz der Volksbank, der mit seinen Platanen, der Pflasterung und einer Sitzgelegenheit dorfplatzähnlichen Charakter trage und zum Verweilen einlade. Dieser Eindruck werde durch den in östlicher Richtung angrenzenden, nur durch eine Gasse getrennten Dorfbrunnen weiter verfestigt, der dem Baugrundstück direkt gegenüber liege. Dieses Ensemble würde durch die geplante großdimensionierte Plakattafel massiv gestört, zumal sich in der Umgebung vergleichbar großflächige Werbeanlagen bisher nicht befänden.
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Die von der Klägerin vorgelegten Fotografien zeigen kein von der Beschreibung der Umgebung im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichendes Bild. Umstände, die die Beurteilung des Verwaltungsgerichts in Frage stellten, werden von der Klägerin ebenfalls nicht genannt. Die Klägerin setzt der Beurteilung des Verwaltungsgerichts vielmehr der Sache nach nur ihre gegenteilige Auffassung entgegen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO übernommen haben.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und folgt der von den Beteiligten nicht beanstandeten Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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