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Gericht:Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 8. Senat
Entscheidungsdatum:10.10.2019
Aktenzeichen:8 S 2132/19
ECLI:ECLI:DE:VGHBW:2019:1010.8S2132.19.00
Dokumenttyp:Beschluss
Quelle:juris Logo
Norm:§ 55 Abs 2 S 2 BauO BW 2010

Hinreichende Benachrichtigung des Nachbarn von einem Bauvorhaben; Ausnahmen von der Präklusionswirkung des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. Juli 2019 - 2 K 4023/19 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

I. Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe geben zu einer Änderung der vom Verwaltungsgericht zum Nachteil des Antragstellers getroffenen Abwägungsentscheidung keinen Anlass.

2

Mit der im Streit stehenden Baugenehmigung vom 20.02.2019 hat das Landratsamt Göppingen der Beigeladenen das Vorhaben „Neubau Kunstrasenfeld mit LED-Flutlichtanlage, Ballfangzäune sowie Anlage von 149 Stellplätzen und einer Doppelgarage“ auf den Grundstücken Flst. Nrn. 1006, 1022, 1029, 1030 und 1061/1 in Uhingen genehmigt.

3

Das Verwaltungsgericht hat, soweit dies zu prüfen ist, bei der von ihm nach Maßgabe der § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung dem (besonderen) öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse der Beigeladenen, von der kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB) sofort vollziehbaren Baugenehmigung sofort Gebrauch machen zu dürfen, zu Recht Vorrang vor dem privaten Interesse des Antragstellers gegeben, von deren Wirkungen vorläufig verschont zu bleiben.

4

1. Der Antragsteller rügt, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, er sei mit seinen Einwendungen wegen des Heranrückens des Bauvorhabens an seinen Schweinemastbetrieb und seine Biogasanlage sowie wegen des Mikroplastiks auf dem Kunstrasenfeld nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen, sei fehlerhaft.

5

a) Er macht insoweit zunächst geltend, er sei ausweislich der Angrenzerbenachrichtigung nur zu dem Baugrundstück Flst. Nr. XXXX/X angehört worden. Auf diesem sei die Stellplatzanlage geplant. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass er nur zu diesem Flurstück Einwendungen erheben könne. Im Rahmen der persönlichen Übergabe seiner Einwendungen habe er explizit darauf hingewiesen, dass sich die Angrenzerbenachrichtigung nur auf das Grundstück Flst. Nr. XXXX/X beziehe und daher fehlerhaft sei. Gleichwohl sei er - auch im Nachgang - nicht darüber belehrt worden, dass sich die Angrenzerbenachrichtigung auf alle Baugrundstücke beziehen solle. Aufgrund des Fehlers der Angrenzerbenachrichtigung sei er auch mit seinen erst nach Ablauf der in § 55 Abs. 2 Satz 1 LBO vorgesehenen Frist vorgebrachten Einwendungen nicht ausgeschlossen.

6

Mit diesem Vorbringen kann die Beschwerde nicht durchdringen. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 LBO benachrichtigt die Gemeinde die Eigentümer angrenzender Grundstücke (Angrenzer) innerhalb von fünf Arbeitstagen ab dem Eingang der vollständigen Bauvorlagen von dem Bauvorhaben. Einwendungen sind innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Benachrichtigung bei der Gemeinde in Textform oder zur Niederschrift vorzubringen (§ 55 Abs. 2 Satz 1 LBO). Die vom Bauantrag durch Zustellung benachrichtigten Angrenzer und sonstigen Nachbarn werden nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die im Rahmen der Beteiligung nicht fristgemäß geltend gemacht worden sind und sich auf von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlichrechtliche Vorschriften beziehen (materielle Präklusion). Auf diese Rechtsfolge ist in der Benachrichtigung hinzuweisen (§ 55 Abs. 2 Satz 3 LBO).

7

Ausgehend davon stellt der Antragsteller mit seinem Vorbringen - wobei weder Fehler bei der Zustellung noch solche bei der Belehrung über die Folgen einer Fristversäumnis gerügt werden - die Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei mit seinen Einwendungen in Bezug auf das Heranrückens des Bauvorhabens an seinen Schweinemastbetrieb und seine Biogasanlage sowie wegen des Mikroplastiks auf dem Kunstrasenfeld präkludiert, weil er entsprechende Rügen nicht fristgerecht erhoben habe, nicht erfolgreich in Frage.

8

In der schriftlichen Benachrichtigung der Beigeladenen, in der Gelegenheit zur „Angrenzer-Erklärung“ gegeben wurde, wird der Bezug zum Bauvorhaben mit folgendem Wortlaut hergestellt: „Zu der Bausache Neubau eines Kunstrasenspielfeldes mit LED-Flutlichtanlage, Ballfangzäunen und Neubau von PKW Stellplätzen mit Zufahrten nördlich des bestehenden Sportstadions in der Pa- nor(a)mastraße in Uhingen, Bauherr/Antragsteller: Stadtverwaltung Uhingen - vertr. durch Herrn BM W., Baugrundstück: Uh 1061/1.“ Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist damit eine hinreichend deutliche Benachrichtigung „von dem Bauvorhaben“ erfolgt, wenngleich nur eines der Baugrundstücke mit seiner Flurstücksnummer bezeichnet wurde. Nach ihrem objektiven Erklärungswert kann die Benachrichtigung nur so verstanden werden, dass sie das gesamte verbal umschriebene Vorhaben betrifft und nicht auf ein einzelnes, dem Vorhaben untergeordnetes Grundstück beschränkt ist. Die angegebene Flurstücksnummer bildet einen Hinweis zur Verortung des Bauvorhabens, ist aber für die Auslegung nicht ausschlaggebend. Dies muss schon deshalb gelten, weil offensichtliche Schreibversehen auch in diesem Zusammenhang vorkommen können, solchen nach allgemeiner gesetzgeberischer Wertung aber keine Bedeutung beigemessen wird (vgl. § 42 Satz 1 VwVfG für Verwaltungsakte, §§ 118 ff. VwGO für verwaltungsgerichtliche Urteile). Auch sonst spricht nichts dafür, dass der Antragsteller durch die Angrenzerbenachrichtigung objektiv nicht genügend über das Bauvorhaben informiert wurde. Die materielle Präklusion des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO knüpft an die nach der Verfahrensverordnung zur Landesbauordnung mit dem Baugesuch eingereichten Bauvorlagen an. Diese müssen so beschaffen sein, dass sich ein Angrenzer über Art und Ausmaß einer möglichen Betroffenheit - in zumutbarer Weise - hinreichend genau informieren kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.03.1998 - 5 S 3180/97 -, VBlBW 1998, 380 = juris Rn. 3). Im vorliegenden Fall ist aber weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Bauvorlagen nicht vollständig zur Einsicht bereitgestanden hätten oder dass sie sonst mängelbehaftet gewesen wären. Auch soweit der Antragsteller geltend macht, er habe gegenüber der Beigeladenen eigens darauf hingewiesen, dass sich die Angrenzerbenachrichtigung nur auf das Grundstück Flst. Nr. XXXX/X beziehe, und sei gleichwohl nicht darüber belehrt worden, dass sie für alle Baugrundstücke gelten solle, führt auch das nicht weiter. Ausweislich des Aktenvermerks hat sich der Antragsteller tatsächlich darüber „beschwert, dass ... nicht alle relevanten Flst.-Nr(n)., welche vom Bauvorhaben betroffen sind“, erwähnt worden seien. Ein Missverständnis auf Seiten des Antragstellers oder gar eine Irreführung durch die Beigeladene ergibt sich gleichwohl nicht. Es spricht nichts dafür, dass der Antragsteller nicht nur die unvollständige Bezeichnung der vom Bauvorhaben erfassten Grundstücke rügen wollte, sondern auch davon ausging, die Angrenzerbenachrichtigung beziehe sich allein auf einen Teil des Vorhabens, etwa die Pkw-Stellplätze. Vielmehr weist das Einwendungsschreiben des Antragstellers vom 07.12.2018 gerade auf das Gegenteil. Darin führt der Antragsteller unter dem Betreff „Neubau Kunstrasenplatz am H.berg, Parzelle: 1022; 1029; 1030; 1061/1“ (ausgeklammert ist lediglich Flst. Nr. 1006, wo bereits seit längerem Sportanlagen verwirklicht sind) aus, für die Planungsfläche bestehe seit über 37 Jahren ein Flächennutzungsplan. Er habe „erheblichste“ Zweifel, ob dieser insoweit noch rechtsgültig sei, zumal in diesen 37 Jahren keine Planungstätigkeit stattgefunden habe. Dies müsse auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass sich der gesellschaftliche Anspruch an einen die Ressourcen schonenden Umgang mit landwirtschaftlichen Freiflächen gewandelt habe. Da die Stadtverwaltung Uhingen versuche, an diesem Standort zu bauen, könne man dies in keinem Fall als landschaftsverträglich bezeichnen. Der Antragsteller hat somit seine Einwendungen gerade nicht nur auf einen Teil des Bauvorhabens, sondern auf alle Grundstücke (mit Ausnahme des bereits bebauten mit der Flst. Nr. 1006) bezogen.

9

b) Der Antragsteller meint weiter, die Präklusion erfasse nicht Gründe, die erst nach Ablauf der Einwendungsfrist entstünden. Er habe zum Zeitpunkt der Angrenzerbenachrichtigung keine Kenntnis von dem Umstand gehabt, welches Material für den Kunstrasenplatz verwendet werde. Ein Kunstrasenplatz könne auch mit alternativen Materialien (z.B. Kork) erstellt werden, welche erheblich geringere Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück hätten als Kunststoffgranulat. Schon deshalb sei er mit seinen Einwendungen, soweit sie das Mikroplastik beträfen, nicht ausgeschlossen.

10

Auch hiermit wird nicht aufgezeigt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern wäre. Soweit der Umfang der erteilten Genehmigung reicht und dieser den zum Zeitpunkt der Angrenzerbenachrichtigung vorliegenden Bauvorlagen entspricht, war es dem Antragsteller möglich und zumutbar, sich nach Erhalt der der Angrenzerbenachrichtigung darüber zu informieren. Er legt nicht dar, dass es insoweit objektive Hinderungsgründe gab, gegebenenfalls auch mögliche Einwendungen gegen das Material für den Kunstrasenplatz zu erheben. Allein der Umstand, dass er subjektiv - etwa mangels näherer Erkundigungen durch Einsicht in die Bauvorlagen - keine Kenntnisse hierzu besaß, rechtfertigt es nicht, diesbezügliche Einwendungen von der Präklusionswirkung des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO auszunehmen.

11

2. Die Beschwerde wird weiter darauf gestützt, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts verstoße das Vorhaben der Beigeladenen durch die Abtragungen und Auswaschungen des Kunstrasens und der damit verbundenen Verbreitung von Mikroplastik auch gegen ihn schützende Normen. Der Inhalt seines Grundeigentums sei betroffen, da sich die Umgebungssituation zu seinem Nachteil ändere. Problematisch sei, dass durch das Granulat Mikroplastik freigesetzt werde, welches durch Winderosion auf seine angrenzenden Grundstücke gelange. Des Weiteren sei zu befürchten, dass durch Auswaschungen, das Granulat das Grundwasser belaste. Hierdurch würden seine Grundstücke nachhaltig belastet und geschädigt. Wie aus Presseberichten zu entnehmen sei, wolle die EU Kunstrasenplätze bis 2022 vollständig verbieten. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) habe am 11.01.2019 einen Beschränkungsvorschlag gemäß Anhang XV der REACH-Verordnung (1907/2006/EG) veröffentlicht, mit dem das Inverkehrbringen von „bewusst zugesetztem“ Mikroplastik verboten werden solle. Seine Grundstücke würden im Wert gemindert; langfristig könnten sie für die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten nicht mehr zur Verfügung stehen.Auch mit diesen Einwänden wird nicht aufgezeigt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern wäre. Die behauptete Absicht, mit künftig geltenden EU-Regeln „bewusst zugesetztes“ Mikroplastik auf Kunstrasenfeldern zu verbieten, führt nicht auf einen bereits in der Gegenwart anzunehmenden Rechtsverstoß und erst recht nicht auf eine Rechtsverletzung des Antragstellers (vgl. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei Nachbarrechtsbehelfen gegen eine Baugenehmigung BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 4 C 5.15 -, BVerwGE 156, 1 = juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Eine beachtliche Eigentumsbeeinträchtigung des Antragstellers allein infolge möglicher Verwehungen beziehungsweise Auswaschungen von Mikroplastik auf dem geplanten Kunstrasenfeld ist nicht ersichtlich.

12

Nach all dem muss der Senat nicht entscheiden, ob die vom Antragsteller beanstandete Verwendung von Mikroplastikgranulat (das sich - auch nach dem Vortrag des Antragstellers - auf Kunstrasenfeldern gegebenenfalls durch andere Stoffe wie Kork oder Sand ersetzen lässt) überhaupt Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung ist.

13

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 sowie Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (VBlBW Sonderbeilage Januar 2014) und entspricht der des Verwaltungsgerichts.

14

Der Beschluss ist unanfechtbar.

 


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