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Nichterfüllung des Anspruch von Kindern unter drei Jahren auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege; Mehrkostenerstattung
Leitsatz
1. Erfüllt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den gesetzlichen Anspruch von Kindern unter drei Jahren auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII (juris: SGB 8) in der seit dem 1. August 2013 geltenden Fassung nicht, hat das Kind nach Maßgabe des § 36a Abs. 3 SGB VIII (juris: SGB 8) entsprechend einen Anspruch auf Erstattung der (Mehr-)Kosten für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 - 5 C 35.12 -, juris).(Rn.43)
2. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann dem Sekundäranspruch auf Kostenerstattung wegen Selbstbeschaffung nicht mit Erfolg entgegenhalten, in seinem Zuständigkeitsbereich reichten die zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren nicht aus, den Platzbedarf zu decken. (Rn.67)
3. Zum Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes (hier verneint), zur Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln des Erstattungsberechtigten und zur Höhe des Erstattungsanspruchs wegen Selbstbeschaffung.(Rn.85)
(Rn.86)
(Rn.88)
Fundstellen
 BWGZ 2015, 182-188 (Leitsatz und Gründe)  JAmt 2015, 98-102 (Leitsatz und Gründe)  EuG 2015, 322-352 (Leitsatz und Gründe) weitere Fundstellen ...
Verfahrensgang
Diese Entscheidung wird zitiert
Wolfgang Kuntz, FuR 2015, 202-203 (Aufsatz) Wolfgang Kuntz, jM 2015, 232-238 (Aufsatz) Diese Entscheidung zitiert
Vergleiche BVerwG, 12. September 2013, Az: 5 C 35/12 Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 19.03.2014 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.06.2014 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger entstandene Mehrkosten für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in folgender Höhe zu erstatten:
- für die Zeit von August 2013 bis Juni 2014 4.252,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2014,
- für die Zeit von Juli bis August 2014 weitere 684,-- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2014,
- für die Zeit von September bis Oktober 2014 weitere 684,-- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2014.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres auch die weiteren Kosten für seine Unterbringung in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. zu erstatten, soweit diese die Kosten überschreiten, die bei einer Unterbringung des Klägers in einer städtischen Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII entstehen würden, solange dem Kläger kein zumutbarer Platz in einer städtischen Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege durch die Beklagte bereitgestellt wird.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
- 1
Der Kläger macht Mehrkosten für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ab August 2013 geltend.
- 2
Die in Vollzeit berufstätigen Eltern des am 06.03.2012 geborenen Klägers hatten diesen am 23.05.2012 in der städtischen Kindertageseinrichtung V. in S. (gewünschter Aufnahmetermin: 06.03.2013) sowie im weiteren Verlauf in weiteren kirchlichen und privaten Tageseinrichtung angemeldet, ohne einen Betreuungsplatz zu erhalten.
- 3
Mit Schreiben vom 18.02.2013 teilte die Beklagte den Eltern des Klägers mit, dass die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder im Alter von 1 – 3 Jahren in S. größer sein werde als das zur Verfügung stehende Angebot. Die Beklagte habe daher ein Verfahren zur Vergabe von Plätzen für 0- bis 3-Jährige in den städtischen Tageseinrichtungen für Kinder entwickelt. Die Eltern des Klägers wurden gebeten, bis spätestens 04.03.2013 eine Erklärung über ihre familiäre Situation und ihren Beschäftigungsstatus abzugeben. Diese Erklärung gaben die Eltern des Klägers am 27.02.2013 in einer „Anmeldung für einen Platz für 0- bis 3-Jährige in den städtischen Tageseinrichtungen für Kinder“ ab. Aufgrund der Erklärung erhielt die Familie nach den Platzvergabekriterien der Beklagten zwei Punkte (ein Kind, beide Eltern beschäftigt).
- 4
Am 24.01.2013 schlossen die Eltern des Klägers mit der E. einen Betreuungsvertrag. Danach wird der Kläger dort ab dem 01.03.2013 von Montag bis Freitag von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr betreut. Der Monatsbeitrag für die Betreuung betrug bei Vertragsschluss 850,-- EUR und wurde nach Mitteilung der Einrichtung vom 12.09.2013 ab dem 01.07.2013 auf monatlich 680,-- EUR (Betreuung 590,-- EUR und Verpflegung 90,-- EUR) reduziert.
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Außerdem sind eine Anmeldegebühr in Höhe von 320,-- EUR sowie ein jährliche Gebühr in Höhe von 120,-- EUR zu entrichten.
- 6
Mit Schreiben vom 15.04.2013 erhielten die Eltern des Klägers von der Beklagten die Nachricht, dass der Kläger bei der Platzvergabe für das Kindergartenjahr 2013/2014 nicht berücksichtigt werden könne.
- 7
Mit Schreiben vom 07.06.2013 wandte sich die Eltern des Klägers erneut an die Beklagte. Sie trugen vor, bisher hätten sie weder von der Tagesstätte noch von der Beklagten einen positiven Bescheid bekommen. Man habe ihnen lediglich mitgeteilt, dass sie keinen Platz erhalten würden und auf der Warteliste stünden, allerdings auch nicht, an welcher Position. Sie hätten auch von verschiedenen anderen Tageseinrichtungen nur Absagen bekommen oder seien vertröstet worden. Sie hätten sich auch um einen Platz bei einer Tagesmutter bemüht. Bei allen Tagesmüttern, die überhaupt in Frage gekommen seien, seien die Plätze jedoch belegt oder ungeeignet gewesen. Das Jugendamt der Beklagten hätte ihnen weder beratend noch hilfeleistend zur Seite gestanden, sondern sie seien völlig auf sich gestellt gewesen. Sie hätten daher den Kläger in einer privaten Kita unterbringen müssen. Der Kläger fühle sich dort wohl, aber die Kosten seien finanziell nicht tragbar. In einer städtischen Kita würden mit ca. 300,-- EUR monatlich weniger als die Hälfte der Kosten anfallen.
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Mit Schreiben vom 15.08.2013 forderten die Eltern des Klägers von der Beklagten die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides über dessen Anspruch auf Erhalt eines Betreuungsplatzes. Betreuungsbedarf bestehe wegen der Berufstätigkeit beider Elternteile von Montag bis Freitag jeweils 9.00 – 17.30 Uhr.
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Mit Bescheid vom 12.09.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege in S. nach § 24 Abs. 2 SGB VIII ab 01.08.2013 im Umfang von 8,5 Stunden täglich ab, da die zur Verfügung stehenden Plätze trotz aller Maßnahmen und Anstrengungen der Beklagten nicht ausreichten, um den Platzbedarf in S. decken und dem Kläger den gewünschten Betreuungsplatz beschaffen zu können.
- 10
Dagegen erhoben die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 23.09.2013 Widerspruch. Sie trugen vor, sie müssten beide in Vollzeit arbeiten, um ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können. Sie hätten daher den Kläger seit dem 01.03.2013 in der privaten Krippe „E.“ in S. angemeldet. Dort fielen im Vergleich zu einer städtischen Krippe für die Betreuung monatlich 317,-- EUR und für die Verpflegung monatlich 35,-- EUR mehr an. Außerdem sei anders als in einer städtischen Krippe eine Anmeldegebühr in Höhe von 320,-- EUR sowie eine Jahresgebühr in Höhe von 120,-- EUR zu zahlen.
- 11
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2013 zurück. Derzeit seien alle Betreuungsplätze für unter Dreijährige vergeben und es würden in allen städtischen Tageseinrichtungen Wartelisten geführt. Dies hätten auch weitere Abgleiche, zuletzt am 07.11.2013, ergeben. Trotz des stetigen Ausbaus des Angebots der Tagesbetreuung für unter Dreijährige sei die Beklagte derzeit nicht in der Lage, den seit 01.08.2013 bestehenden Rechtsanspruch vollständig zu erfüllen. Aus diesem Grund könne die Beklagte dem Antrag nicht stattgeben. Der Antrag auf Erstattung der Mehrkosten für eine alternative Betreuungseinrichtung werde in einem separaten Verfahren geprüft.
- 12
Gegen die ablehnenden Bescheide des Beklagten vom 12.09.2013 und 12.11.2013 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart (7 K 5011/13).
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Ebenfalls unter dem 12.11.2013 teilte die Beklagte den Eltern des Klägers mit, dass sie wegen der geltend gemachten Kostenerstattung für die private Kindertageseinrichtung noch auf die ausführliche Begründung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2013 (5 C 35.12) warte. Zur Bearbeitung des Antrags auf Kostenerstattung werde der Betreuungsvertrag zwischen den Eltern des Klägers und der alternativ belegten Kindertageseinrichtung sowie ein Nachweis, aus dem der Beginn der Betreuung und die einmalig und monatlich anfallenden Kosten ersichtlich sei, benötigt. Die geforderten Unterlagen legten die Kläger am 03.12.2013 bei der Beklagten vor.
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Die Beklagte teilte den Eltern des Klägers mit Schreiben vom 03.02.2014 mit, grundsätzlich bestehe im Rahmen der §§ 22, 24 SGB VIII ein Anspruch auf täglich vier Stunden Betreuung (Regelangebot). Ein erweiterter individueller Betreuungsumfang solle zur Verfügung stehen, wenn dies z.B. aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern oder sonstiger spezifischer Umstände notwendig sei. Um den beantragten erweiterten Betreuungsumfang prüfen zu können, werde gebeten, noch Angaben über die regelmäßigen (durchschnittlichen) wöchentlichen und auch täglichen Arbeitszeiten beider Elternteile sowie die Fahrzeiten zwischen Kindertageseinrichtung und Arbeitsplatz bzw. Wohnung zu machen.
- 15
Mit Schreiben vom 17.02.2014 machten die Eltern des Klägers dazu folgende Angaben: Die Mutter des Klägers sei Produktmanagerin bei der Sch. GmbH in S. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden (8.00 Uhr bis 17.30 Uhr) oder auch mehr. Der Vater des Klägers sei selbständiger Unternehmer mit Full-Service. Er betreibe eine Werbeagentur in S. in der R-Straße mit mehr als 40 Arbeitsstunden/Woche (ca. 10.00 bis 18.30 Uhr) sowie nach Bedarf an Samstagen und Sonntagen. In der Regel bringe der Vater den Kläger täglich zur KiTa und die Mutter hole ihn dort ab. Der Fußweg von der Wohnung zur Kita betrage 100 m (5 Minuten). Die Abholung durch die Mutter beanspruche je nach Verkehrslage ca. 25 Minuten (ca. 8 km).
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19.03.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erstattung der geltend gemachten Betreuungskosten für den Kläger in der Kindertageseinrichtung „E.“ im Rahmen des geltend gemachten Rechtsanspruchs auf frühkindliche Förderung gem. § 24 Abs. 2 SGB VIII ab 01.08.2013 im Umfang einer Ganztagsbetreuung ab. Die Beklagte führte zur Begründung aus: Die Eltern des Klägers hätten im Rahmen des Anhörungsverfahrens mitgeteilt, dass sie in Vollzeit erwerbstätig seien. Die Fahrzeit zwischen Arbeitsstelle und Kindertagesstätte betrage ca. 25 Minuten. Daraus ergebe sich, dass die von den Eltern gewünschte Betreuung begründet sei. Aufgrund der Erwerbstätigkeit ergebe sich ein erweiterter Betreuungsumfang. Durch den selbstbeschafften Betreuungsplatz ihres Kindes sehe die Beklagte allerdings den Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung nach § 24 Abs. 2 SGB VIII in der seit 01.08.2013 geltenden Fassung als erfüllt an. Die frühkindliche Förderung könne in Tagespflege oder in Kindertageseinrichtungen erfolgen. Betreuungsplätze könnten nicht nur in städtischen Einrichtungen, sondern auch von anderen Trägern angeboten werden, wie dies auch dem gesetzlich als Grundsatz vorgegebenen Nachrang der Gemeinden bei der Bedarfsdeckung entspreche. Auch durch den Besuch von Einrichtungen freier, gemeinnütziger und sonstiger Träger werde in Baden-Württemberg der Rechtsanspruch erfüllt. Es handele sich bei der vom Kläger besuchten Einrichtung um eine Kindertageseinrichtung im Sinne des § 1 Abs. 3 des Kindertagesbetreuungsgesetzes (KiTaG). Die Beklagte fördere entsprechend ihren bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen alle diese Kindertageseinrichtungen bei Vorliegen der Fördervoraussetzungen des § 8 KiTaG, d.h. unabhängig von der Höhe der Betreuungskosten. Das Landesrecht enthalte hinsichtlich einer Entgelthöhe nur die Regelung, dass die angemessene wirtschaftliche Belastung und die Kinderzahlen in der Familie berücksichtigt werden könnten. Finanziell würden Familien zudem im Rahmen der bundesgesetzlichen Vorgaben durch die Möglichkeit der ganzen oder teilweisen Übernahme des Kostenbeitrags im Rahmen des § 90 SGB VIII unterstützt. Über diese Regelungen hinaus bestehe gesetzlich kein weiterer Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch von Einrichtungen freier Träger.
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Dagegen erhoben die Eltern des Klägers Widerspruch und trugen vor, der Kläger habe seit dem 01.08.2013 einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz. Die Beklagte sei ihrer gesetzlichen Pflicht zur Schaffung von genügend Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren bis zum 01.08.2013 nicht nachgekommen, obwohl das Problem der fehlenden Plätze schon seit einigen Jahren bekannt sei. Für einen von der Beklagten zur Verfügung gestellten Platz entstünde ein finanzieller Aufwand von 275,00 EUR pro Monat. Durch die private Unterbringung betrage der Aufwand statt dessen 680,-- EUR im Monat. Der finanzielle Mehraufwand für die Betreuung des Klägers entstehe nicht, wenn die Beklagte einen Platz zur Verfügung stellen würde.
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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2014, zugestellt am 27.06.2014, zurück.
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Dagegen hat der Kläger am 18.07.2014 Klage eingereicht. Zur Begründung trägt sein Prozessbevollmächtigter zusammengefasst Folgendes vor: Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Urteil vom 12.09.2013 (5 C 35/12) entschieden, dass ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die Selbstbeschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes dann vorliege, wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung rechtzeitig über den Bedarf des Kindes in Kenntnis gesetzt habe, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen hätten und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet habe. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Spätestens mit Schreiben vom 07.06.2013 hätten die personensorgeberechtigten Eltern des Klägers bei der Beklagten den seit 01.08.2013 in Kraft getretenen Rechtsanspruch auf Betreuung für unter 3-jährige geltend gemacht. Die Beklagte sei dem nicht nachgekommen, sondern habe sich auf den Standpunkt zurückgezogen, es gebe keine freien Plätze. Durch die Notwendigkeit der Betreuung des Klägers in einer privaten Einrichtung entstünden erhebliche Mehrkosten, die die Beklagte zu erstatten habe. Beide personensorgeberechtigten Elternteile seien in Vollzeit erwerbstätig und hätten nicht ausreichend Zeit, sich um den Kläger in gebotenem Umfang zu kümmern und ihn zu fördern. Seine Unterbringung in der privaten Kindertageseinrichtung „E.“ sei zwingend notwendig gewesen. Die Anmeldegebühr betrage 320,-- EUR, die Jahresgebühr 120,-- EUR. Die Vollzeitbetreuung koste monatlich 590,-- EUR, die Verpflegung monatlich 90,-- EUR, zusammen 680,-- EUR. In einer städtischen Krippe fielen keine Anmelde- und Jahresgebühren an. Die Vollzeitbetreuung koste monatlich 273,-- EUR, die Verpflegung monatlich 65,-- EUR. Die hieraus resultierende Differenz werde mit der Klage geltend gemacht.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
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1. den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2014 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.06.2014 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit von August 2013 bis Juni 2014 Mehrkosten für einen selbstbeschaffenen Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in Höhe von 4.252,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2014 zu erstatten,
- 23
3. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit von Juli bis August 2014 Mehrkosten für einen selbstbeschaffenen Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in Höhe von weiteren 684,-- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2014 zu erstatten,
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4. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit von September bis Oktober 2014 Mehrkosten für einen selbstbeschaffenen Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in Höhe von weiteren 684,-- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2014 zu erstatten,
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5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres auch die weiteren Kosten für seine Unterbringung in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. zu erstatten, soweit diese die Kosten überschreiten, die bei einer Unterbringung des Klägers in einer städtischen Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII entstehen würden, solange dem Kläger kein zumutbarer Platz in einer städtischen Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege durch die Beklagte bereitgestellt wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, der Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 36 a Abs. 3 SGB VIII analog setze das Vorliegen des Primäranspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII voraus. Hierbei handle es sich um einen subjektiv-individuellen Förderanspruch, der nur dem Kind zustehe. Folglich könne der Aufwendungsersatzanspruch auch nur durch das Kind geltend gemacht werden. Der Primäranspruch bestehe aus den im Verfahren 7 K 5011/13 dargelegten Gründen nicht. Die Beklagte habe alles unternommen, um ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen und das für den Betrieb erforderliche Personal anzuwerben. Wenn trotzdem nicht alle Anspruchsteller einen Kita-Platz bekommen könnten, stelle dies eine von der Beklagten nicht zu vertretende Unmöglichkeit dar. Darüber hinaus werde von den Eltern des Klägers vorgetragen, dass sie in Vollzeit erwerbstätig seien. Hierbei seien die Ausführungen zu den Arbeitszeiten des Vaters sehr vage gehalten. Damit sei der für eine Ganztagsbetreuung erforderliche individuelle Bedarf im konkreten Fall nicht nachgewiesen. Gerade im Hinblick auf die Selbständigkeit des Vaters könne nicht ausgeschlossen werden, dass es diesem möglich sei, seine Geschäfte mit einer zumindest teilweisen Betreuung des Klägers zu vereinbaren. Der Anspruch nach § 36 Abs. 3 SGB VIII analog sei auf Aufwendungsersatz gerichtet. Er sei somit kein Schadensersatzanspruch. Damit stelle sich auch nicht die Frage, inwieweit den Kläger eine Schadensminderungspflicht treffe. Doch bestehe für den Kläger zumindest die Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen, da er sich nur für eine städtische Kita, die V., angemeldet habe, obwohl in näherer Umgebung zur Wohnung weitere städtische Kitas existierten. Gerade wegen der Tatsache, dass der seit dem 01.08.2013 bestehende Anspruch auf Verschaffung eines Kita-Platzes gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII von den Gemeinden trotz aller Anstrengungen nicht in vollem Umfang erfüllt werden könne und dies auch durch entsprechende Berichterstattung in den Medien allseits bekannt sei, hätte der Kläger sich bei mehreren Kitas bewerben müssen. Indem er sich auf eine einzelne Bewerbung konzentriert habe, habe er seine Chancen, einen Kita-Platz zu erhalten, massiv reduziert und damit eine sonst womöglich unnötige Selbstbeschaffung erst erforderlich gemacht. Auch sei nicht erkennbar, dass der Kläger neben der Beschaffung eines Kita-Platzes im „E.“ weitere Anstrengungen unternommen habe, auch andere nichtstädtische Einrichtungen in näherer Umgebung zu kontaktieren und preislich zu vergleichen. Auch wenn ein Anspruch auf Aufwendungsersatz bestehe, befreie dieser die Kläger nicht davon, bei der Auswahl auch wirtschaftliche Gesichtspunkte einfließen zu lassen. Es werde insoweit auf § 5 Abs. 2 SGB VIII hingewiesen, in dem das Wunsch- und Wahlrecht aus § 5 Abs. 1 SGB VIII seine Grenzen finde.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dazu Folgendes erwidert:
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Der Vater des Klägers sei selbständig in der Agentur N., R-Straße in S., tätig. Dort sei er in der Zeit von Montag bis Freitag mindestens von 10.00 bis 18.00 Uhr beschäftigt. Der Beklagten sei es unbenommen gewesen, Alternativen zu benennen und das Begehren nicht komplett abzulehnen. Die Beklagte beschreibe aber selbst, dass keine Plätze bei ihr zur Verfügung stünden. Die Eltern des Klägers hätten nichtsdestotrotz versucht, den Kläger in anderen Tageseinrichtungen in S. mit verlängerten Öffnungszeiten unterzubringen, seien allerdings nicht erfolgreich gewesen. Dies seien neben der V. in der W-Straße folgende Einrichtungen gewesen: Kindertagesstätte A; Kath. Kinderhaus B; Evangelischer Kindergarten C.; D-Kindertagesstätte; Kindervilla E; Tagesmütter und Pflegeeltern S.. Darüber hinaus hätten die Eltern auf dem X-Portal S. nach geeigneten Plätzen gesucht. Auch dies habe keinen Erfolg gehabt. Wenn es einen Treffer gegeben habe, sei dort nur ein Platz mit verkürzter Betreuungszeit und oft in völlig anderen Stadtteilen vorhanden gewesen. Das Jugendamt der Beklagten habe bereits seit der ersten Anmeldung und der Absage der V. Bescheid gewusst, dass ein Platz für den Kläger gesucht werde. Die Eltern hätten sich beim Amtsleiter und seiner Stellvertretung nach freien Plätzen erkundigt. Allerdings sei dieses Ansinnen immer abschlägig beschieden worden.
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Nachdem die Vertreter der Beklagten in dem die Beschaffung eines Kita-Platzes betreffenden Klageverfahren 7 K 5011/13 erklärt haben, dass für den Kläger vor Erreichung des 3. Lebensjahres kein Krippenplatz zur Verfügung gestellt werden könne, haben die Beteiligten den diesbezüglichen Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt und sich über die Kostentragung geeinigt. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 04.12.2014 eingestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der Gerichtsakte des Verfahrens 7 K 5011/13 sowie der zu den beiden Verfahren beigezogenen Behördenakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
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Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist zum einen eine Verpflichtungsklage auf Erstattung von Mehrkosten in Höhe von insgesamt 5.620,-- EUR zuzüglich gestaffelter Zinsen, die zwischen August 2013 und Oktober 2014 im Vergleich zur Unterbringung in einer städtischen Kindertagesstätte durch die Unterbringung des Klägers in einer privaten Kindertagesstätte, dem „E.“ in S., entstanden sind. Zum anderen ist Streitgegenstand die Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres auch die weiteren Kosten für seine Unterbringung in der privaten Kinderkrippe „E.“ zu erstatten, soweit diese die Kosten überschreiten, die bei einer Unterbringung des Klägers in einer städtischen Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII entstehen würden, solange dem Kläger kein zumutbarer Platz in einer städtischen Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege durch die Beklagte bereitgestellt wird.
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Der am 06.03.2012 geborene Kläger ist für die Geltendmachung beider Ansprüche klagebefugt.
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Dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch liegt als Primäranspruch § 24 Abs. 2 SGB VIII in der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung zugrunde. Gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Der seinerzeit auf Bundesebene beschlossene Rechtsanspruch geht auf den sog. „Krippengipfel“ vom April 2007 zurück und ist im Kinderförderungsgesetz - KiföG - vom 10.12.2008 (BGBl I, 2403) mit Inkrafttreten zum 01.08.2013 (vgl. Art. 10 Abs. 3 KiföG) verankert (vgl. zur Vorgeschichte Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 ff.). Mit Einführung des Rechtsanspruchs zum 01.08.2013 sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht mehr nur objektiv-rechtlich verpflichtet, ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist den Kindern eine wehrhafte Rechtsposition (ein subjektiv-öffentliches Recht) eingeräumt, die ggf. auch gerichtlich durchgesetzt werden kann (vgl. Meysen/Beckmann, DIJuF v. 21.12.2012).
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Steht der Primäranspruch dem Kind selbst zu, so stehen auch die möglichen Sekundäransprüche auf Erstattung der Mehrkosten einer selbstbeschafften Hilfe auf der Grundlage von § 36 a SGB VIII analog, auf die das Klagebegehren gestützt ist, dem Kind zu. Das Kind und nicht seine Personensorgeberechtigten ist insoweit aktivlegitimiert (vgl. Schübel-Pfisterer, NVwZ 2013, 385, 386).
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Dem steht nicht entgegen, dass in dem einen Anspruch auf Aufwendungsersatz für einen selbstbeschafften Kinderbetreuungsplatz gemäß § 36 a SGB VIII analog zusprechenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2013 (- 5 C 35/12 -; vorgehend OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.10.2012 - 7 A 10671/12 -; jeweils juris) die obsiegenden Klägerinnen Mutter und Tochter waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit (Rn. 45 ff.) ausgeführt, das Oberverwaltungsgericht habe den Anspruch auf irrevisibles Landesrecht gestützt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat seine diesbezügliche Rechtsprechung mittlerweile auch aufgegeben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.05.2014 - 7 A 10276/14-, juris.)
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Wie in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2014 geklärt, sind die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens sich einig, dass die Klage sachdienlich so auszulegen ist, dass Kläger das Kind, vertreten durch seine Eltern, ist und das Rubrum von Amts wegen entsprechend zu fassen ist.
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Soweit der Kläger während des Klageverfahrens seine zunächst auf Ersatz der Mehrkosten für die Zeit von August 2013 bis Juni 2014 gerichtete Klage mit Schrift-sätzen vom 12.09.2014 und 20.11.2014 auf den Ersatz der Mehrkosten für Juli und August 2014 bzw. September und Oktober 2014 erweitert hat, ist dies sachdienlich und auch von der Beklagten nicht beanstandet worden (vgl. § 91 Abs. 1 und 2 VwGO).
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Die Klage ist auch begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in der geltend gemachten Höhe. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 19.03.2014 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.06.2014 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO in seinen Rechten.
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Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 36a Abs. 3 SGB VIII.
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Gemäß § 36a Abs. 1 S. 1 SGB VIII trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird.
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Werden Hilfen abweichend davon vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 36 a Abs. 3 SGB VIII zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen (nur) verpflichtet, wenn
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1. der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3. die Deckung des Bedarfs
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a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
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Eine unmittelbare Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kinderbetreuungsplätzen scheidet allerdings aus.
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Der Wortlaut der Vorschrift bezieht sich auf "Hilfen" und erfasst damit nicht alle der in § 2 Abs. 2 SGB VIII aufgelisteten Leistungen der Jugendhilfe, sondern nur solche, die sich als Hilfen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 SGB VIII darstellen, also nicht zu der Leistungsform der Angebote (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGB VIII) gehören. Bei den Regelungen über die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (§ 22 ff. SGB VIII) handelt es sich um die zuletzt genannte Kategorie (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII). Auch die systematische Stellung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Vierten Abschnitt des Gesetzes spricht dafür, dass diese Vorschrift unmittelbar nur die in diesem Abschnitt geregelten Hilfen, nicht aber die im Dritten Abschnitt normierten Angebote erfasst. Zudem lassen die Gesetzesmaterialien erkennen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 36a SGB VIII die Hilfen im Auge hatte und insbesondere die Selbstbeschaffung von Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) begrenzen wollte (BTDrucks 15/3676 S. 36; vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rd. 23 ff.).
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§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 26 ff.), der die Kammer folgt, auf jugendhilferechtliche Leistungen, welche die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege betreffen, entsprechend anzuwenden. Die Voraussetzungen eines Analogieschlusses sind danach erfüllt.
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Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch weist für den in Rede stehenden Sachverhalt eine planwidrige Gesetzeslücke auf. Welche Rechtsfolgen das Bundesrecht daran knüpft, wenn ein Rechtsanspruch auf Verschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes nicht erfüllt und die Leistung selbst beschafft wird, wird weder unmittelbar von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII noch von einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung des Kinder- und Jugendhilferechts erfasst.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt § 90 Abs. 3 SGB VIII keine abschließende Sonderregelung zur Kostentragung für das Kindergartenrecht dar (ebenso BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 29 ff.). Nach § 90 Abs. 3 SGB VIII soll im Falle des Abs. 1 Nr. 3 (der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII) der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der zumutbaren Belastung kommt es auf das maßgebliche Einkommen an (§ 90 Abs. 4 SGB VIII). Diese Regelung ist nicht auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kinderbetreuungsplätzen wegen Systemversagens zugeschnitten. Vielmehr bezieht sich der Übernahmeanspruch nach § 90 Abs. 3 SGB VIII auf eine andere Sachlage. Er setzt im Wesentlichen die Unzumutbarkeit der Belastung voraus und ist neben der sozialen Staffelung (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) eine weitere soziale Komponente der Ausgestaltung der Kostenbeteiligung der Eltern (vgl. etwa Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 90 Rn. 20). Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 25. April 2002 (- 5 C 16.01 -, juris), dass nach der Systematik des Gesetzes die Kostenbeteiligung für die in § 90 SGB VIII bezeichnete Inanspruchnahme von Angeboten der Jugendhilfe abschließend in dieser Vorschrift geregelt sei, beziehen sich allein auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Eltern einen Kostenbeitrag zu zahlen oder Anspruch auf Erlass dieses Beitrags haben bzw. seine Übernahme durch den Jugendhilfeträger beanspruchen können. Für die hier in Rede stehende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Aufwendungsersatzanspruch daran geknüpft ist, wenn der Primäranspruch des Kindes auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes von dem Träger der Jugendhilfe nicht erfüllt worden ist, ist damit keine Aussage getroffen worden (so BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 31).
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Die planwidrige Lücke ist durch analoge Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu schließen. Dies gilt, wie sich dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 12.09.2013 (a.a.O., Rn. 40) entnehmen lässt, für alle Fälle des Anspruchs auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Kinderbetreuungsplatz, bezüglich dessen die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben, und zwar unabhängig davon, ob der Anspruch im Bundesrecht oder im Landesrecht wurzelt. Es ist mithin unerheblich, ob sich der gesetzliche Anspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe - wie im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall - aus rheinland-pfälzischem Landesrecht oder - wie im vorliegenden Fall - aus Bundesrecht (hier: § 24 Abs. 2 SGB VIII i.d. seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung) ergibt. Bereits die vor Inkrafttreten des § 36a SGB VIII entwickelte Rechtsprechung zum sog. Systemversagen lässt sich so verstehen, dass sie alle Leistungen erfasste, die entgegen dem „System“ des SGB VIII nicht ordnungsgemäß erbracht wurden und daher selbst beschafft werden müssen (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 ff., 2843).
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Kennzeichnend für die in § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII normierten Fälle ist, dass ein gesetzlicher Primäranspruch, der keine bloße Geldleistung, sondern eine Sach- und Dienstleistung zum Gegenstand hat, nicht erfüllt wird und diejenigen, die sich die unaufschiebbar notwendige Leistung, deren Gewährung der Jugendhilfeträger zu Unrecht abgelehnt oder über die er nicht rechtzeitig entschieden hat, selbstbeschaffen, nicht schlechter stehen sollen als diejenigen, deren Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden ist. Weil der Anspruch mit Zeitablauf nicht mehr erfüllt werden kann, verhindert der Betroffene durch die Selbstbeschaffung den Verlust der Leistung. Es würde gegen die gesetzliche Gewährung des Rechtsanspruchs verstoßen, wenn der Hilfebedürftige seinen Anspruch allein deshalb verlieren würde, weil er die ihm zustehende Hilfe nicht rechtzeitig vom Leistungsträger erhalten hat.
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Die Sach- und Interessenlage, die besteht, wenn der Jugendhilfeträger einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, ist der zuvor beschriebenen wertungsmäßig vergleichbar. Die Kinderbetreuung, die - trotz Rechtsanspruchs - nicht für den Zeitraum gewährt wird, für den sie begehrt wird, lässt sich nicht verschieben, sondern bleibt für diesen Zeitraum in irreversibler Weise unerfüllt; der Anspruch auf Zuweisung eines real verfügbaren Platzes erledigt sich durch Zeitablauf (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839, 2841; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385, 390). Soweit der Primäranspruch auf einen Betreuungsplatz nicht auf andere Weise rechtzeitig durchgesetzt werden kann, ist der Betroffene - wenn er den endgültigen Anspruchsverlust verhindern will - auf eine Selbstbeschaffung verwiesen, die es ihm dann noch ermöglicht, den Bedarf zu decken und zumindest die erforderlichen Aufwendungen hierfür erstattet zu bekommen (vgl. im einzelnen BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 36 ff.).
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Wegen der ähnlichen Sach- und Interessenlage ist der Analogieschluss auch auf alle Tatbestandsmerkmale, die 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII an die Rechtsfolge des Aufwendungsersatzanspruchs knüpft, sinngemäß zu erstrecken.
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Das gilt insbesondere für das Merkmal, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf in Kenntnis gesetzt haben muss (§ 36 a Abs. 3 S. 1 Nr. 1). Die Bedeutung dieses Merkmals und seine Notwendigkeit, es als Voraussetzung für einen entsprechend hergeleiteten Aufwendungsersatzanspruch anzusehen, erschließt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu Absatz 1 dieser Vorschrift. Gesetzlicher Leitgedanke des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers. Nach dieser Regelung hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann zu tragen, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII wahrnehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 19, 39 f. m.w.N.).
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Der genannte Gedanke, dass eine Vorbefassung des Trägers der Jugendhilfe erforderlich ist, bevor ein Bedarf im Wege der Selbstbeschaffung gedeckt wird, greift auch für die Ansprüche auf Kinderbetreuung. Auch im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erfüllung dieser Rechtsansprüche hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seine Gewährleistungspflicht zunächst durch eine bedarfsgerechte Planung entsprechend den objektivrechtlichen Vorgaben der §§ 79, 80 SGB VIII zu erfüllen und dabei bereits das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zu berücksichtigen. Der Jugendhilfeträger trägt so für die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots die Gesamtverantwortung, der er etwa durch die Finanzierung von Betreuungsplätzen kommunaler Träger und durch finanzielle Förderung nichtstaatlicher (freier) Träger nachkommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 40).
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Im vorliegenden Fall hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Betreuungsbedarf rechtzeitig in Kenntnis gesetzt.
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Bereits gut zwei Monate nach der Geburt des Klägers haben seine Eltern ihn mit Anmeldung vom 23.05.2012 über das Jugendamt der Beklagten bei ihrer Wunscheinrichtung, der städtischen V., angemeldet und dabei angegeben, dass sie beide berufstätig seien und eine Ganztagsbetreuung mit verlängerten Öffnungszeiten benötigten. Wie insbesondere der weitere Schriftverkehr zwischen den Eltern des Klägers und der Beklagten zeigt, hat sich der geltend gemachte Betreuungsbedarf aber nicht nur auf die o.g. konkrete Betreuungseinrichtung bezogen. Zwar haben die Eltern des Klägers in Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts aus § 5 Abs. 1 SGB VIII, wonach die Leistungsberechtigten das Recht haben, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern, zunächst eine Wunscheinrichtung angegeben. Dies entspricht dem Vergabesystem der Beklagten, bei dem die Vergabe der vorhandenen Kinderbetreuungsplätze nicht zentral durch das Jugendamt gesteuert wird, sondern die Eltern gehalten sind, ihr Kind selbst bei der jeweiligen Betreuungseinrichtung anzumelden.
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Der Betreuungsbedarf für den Kläger war aber jedenfalls der Beklagten seit der ersten Anmeldung bekannt, und die Eltern des Klägers haben in der Folgezeit schriftlich und auch mündlich gegenüber der Beklagten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen im Hinblick auf ihre berufliche Situation überhaupt um einen Betreuungsplatz für den Kläger geht, ohne auf einer speziellen Einrichtung zu bestehen. So haben sie auf die Mitteilung der Beklagten vom 15.04.2013, ihnen könne zum Kindergartenjahr 2013/2014 kein Kleinkindplatz in einer städtischen Einrichtung zugesagt werden, mit von der Beklagten vorbereiteter „Rückantwort an das Jugendamt“ am 27.04.2013 mitgeteilt, dass der Kläger in die aktuelle Warteliste des Jugendamtes aufgenommen werden soll. Nachdem das Schreiben vom 15.04.2013 vom Jugendamt der Beklagten herrührte und mit dem Hinweis versehen war, man hoffe, noch eine geeignete Lösung für den Kläger zu finden, konnten die Eltern des Kläger davon ausgehen, ihren grundsätzlichen Betreuungsbedarf - nochmals - deutlich zum Ausdruck gebracht zu haben. Die Bemühungen, der Beklagten ihren Betreuungsbedarf nahezubringen, haben die Eltern des Klägers eindrücklich in ihrem Schreiben vom 07.06.2013 an das Jugendamt dargestellt. Dort haben die Eltern des Klägers - unbestritten - geschildert, dass sie trotz ihrer frühzeitigen Anmeldung weder von der Tageseinrichtung noch vom Jugendamt einen positiven Bescheid bekommen hätten, sondern nur die Mitteilung, keinen Platz zu erhalten und auf der Warteliste zu stehen, dass sie den Kläger ohne Erfolg bei verschiedenen anderen Tageseinrichtungen angemeldet oder eine Unterbringung bei einer Tagesmutter versucht hätten und dass es von den zuständigen Personen des Jugendamt nur geheißen habe, wie aus den Medien bekannt sei, könne die Beklagte den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nicht erfüllen.
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Damit haben die Eltern des Klägers alles getan, um die Beklagte rechtzeitig i.S.d. § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII über ihren Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen.
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Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Jugendhilfeträger für die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots von Betreuungsplätzen die Gesamtverantwortung trägt und er die Realisierung des gesetzlichen Anspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht auf die Eltern abwälzen kann. Die Beklagte ist aufgrund ihrer aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgenden Gesamtverantwortung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben sowie auch ihrer Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht nur institutionell, sondern auch im individuellen Einzelfall für die Hilfegestaltung zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 19). Die Kammer hat daher Bedenken, ob die Beklagte durch die von ihr praktizierte dezentrale Vergabe von Betreuungsplätzen ohne erkennbare - über die für die jeweils einzelne städtische Einrichtung maßgeblichen Vergaberichtlinien hinausgehende - übergreifende Einflussnahme auf die Vergabe dieser Gesamtverantwortung gerecht wird. Dieses System überlässt es den Eltern, durch eine möglichst große Zahl von Einzelanmeldungen oder durch Suche im städtischen Online-Portal X (vgl. ...) ihre Chancen auf einen Betreuungsplatz zu realisieren. Ob und wie diese Einzelanmeldungen koordiniert werden, bleibt unklar. So dürfte das System es etwa erlauben, dass ein Kind in einer weniger nachgefragten Kita nachrücken kann, obwohl für ein anderes Kind, welches in zumutbarer Entfernung wohnt, ein größerer Bedarf existiert. All dies ist jedoch im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich und bedarf daher keiner Vertiefung.
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Als weiteres Tatbestandsmerkmal verlangt § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB VIII, dass vor der Selbstbeschaffung die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen. Auch dies ist hier der Fall.
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Gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII in der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Gemäß § 24 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf. Der Anspruch richtet sich gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Mit Einführung des Rechtsanspruchs zum 01.08.2013 sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht mehr nur objektiv-rechtlich verpflichtet, ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist den Kindern ein subjektiv-öffentliches Recht auf einen entsprechenden Betreuungsplatz eingeräumt worden. Es handelt sich damit um einen unbedingten Anspruch ohne weitere einschränkende Voraussetzungen (vgl. Meysen/Beckmann, DIJuF v. 21.12.2012). Dem subjektiv-öffentlichen Recht des Kindes korrespondiert eine unbedingte Gewährleistungspflicht des örtlich zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ( vgl. Rixen, NJW 2012, 2839).
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Der am 06.03.2012 geborene Kläger hatte daher im maßgeblichen Zeitraum gegen die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe einen gesetzlichen Anspruch auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes, den die Beklagte nicht erfüllt hat.
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Die Beklagte kann dem darauf gestützten Erstattungsanspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII analog nicht mit Erfolg entgegenhalten, in ihrem Zuständigkeitsbereich reichten die zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren Plätze trotz aller Maßnahmen und Anstrengungen, auch in finanzieller Hinsicht, nicht aus, um den Platzbedarf decken zu können, und aufgrund des Fachkräftemangels könnten auch nicht alle offenen Erzieher-/Erzieherinnenstellen besetzt werden. Diese Einwendungen sind politisch verständlich, im Hinblick auf den gesetzlich geregelten unbedingten Anspruch auf einen Betreuungsplatz rechtlich aber nicht relevant.
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Der Erstattungsanspruch gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII ist, anders als ein Amtshaftungsanspruch, der nicht nur Aufwendungs-, sondern weitreichenden Schadensersatz gewährt, nicht verschuldensabhängig. Er knüpft nicht an ein schuldhaftes Verhalten eines Amtswalters, sondern an ein Systemversagen bei der Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs auf Kinderbetreuungsplätze an (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 33).
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Die Beklagte kann sich gegenüber dem Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz auch nicht darauf berufen, der Primäranspruch auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes sei einem impliziten Kapazitätsvorbehalt unterworden. Die Beklagte hat insoweit zusammengefasst vorgetragen, der Aufwendungsersatzanspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII analog setze das Vorliegen eines Primäranspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII voraus. Der Primäranspruch bestehe im vorliegenden Fall nicht. Die Beklagte habe alles unternommen, um ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen und das für den Betreib erforderliche Personal einzustellen. Wenn sie trotz aller Anstrengungen nicht über einen Platz für den Kläger verfüge, liege ein Fall der objektiven Unmöglichkeit vor, der entsprechend dem allgemeinen Rechtsgedanken aus § 275 BGB dem Erfüllungsanspruch entgegenstehe.
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Zunächst erscheint es bereits fraglich, ob im Fall des Klägers von einer objektiven Unmöglichkeit, ihm einen Betreuungsplatz zu verschaffen, ausgegangen werden kann. Wie die Beklagte auf gerichtliche Anfrage im parallelen Klageverfahren 7 K 5011/13 mit Schriftsatz vom 23.05.2014 mitgeteilt hat, stehen in zumutbarer Entfernung zur Wohnung des Klägers (hier zugrunde gelegt: Entfernung maximal 5 km bzw. Fahrzeit 30 Minuten) allein zehn städtische Tageseinrichtungen zur Verfügung, in denen erfahrungsgemäß nach Ende jeden Kindergartenjahres Plätze frei werden. Diese hat die Einrichtung allerdings anderweitig, nämlich nach den städtischen Vergaberichtlinien, vergeben. Dass darüber hinaus alle rechtlichen Möglichkeiten zur Aufstockung von Gruppen etc. ausgeschöpft worden sind, lässt sich ebenfalls nicht zuverlässig nachvollziehen. Schließlich muss der Anspruch nicht in einer kommunalen Einrichtung erfüllt werden; vielmehr kommt auch ein Platz in einer kirchlichen, privaten oder gemeinnützigen Einrichtung in Betracht (vgl. etwa Schwarz/Lammert, ZKJ 2014/361 ff.). Ob unter diesen Gegebenheiten von einer objektiven Unmöglichkeit gesprochen werden kann, ist zweifelhaft, braucht aber hier nicht vertieft zu werden.
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Eine implizite Bindung und Begrenzung eines Anspruchs an bestehende Kapazitäten wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung etwa angenommen bei Begehren auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen oder zu Studienplätzen, die im Numerus-Clausus-Verfahren vergeben werden. Dieser Rechtsprechung liegt im Gegensatz zum vorliegenden Fall aber nicht ein subjektiver gesetzlicher Zugangsanspruch, sondern nur ein allgemeiner Anspruch auf chancengleichen Zugang zu öffentlichen (Bildungs-)Einrichtungen zu Grunde. Das Argument der Beklagten, die Platzvergabe in den städtischen Kindertagesstätten erfolge nach den Kriterien der Vergaberichtlinien, trägt daher nicht bei einem gesetzlichen Verschaffungsanspruch, wie ihn § 24 Abs. 2 SGB VIII verleiht. Eine Dispensation gesetzlicher Ansprüche unter dem dogmatischen Stichwort subjektiver oder objektiver Unmöglichkeit i.S.d. zivilrechtlichen Leistungsstörungsrechtes ist dem öffentlichen Recht fremd.
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Ob der Einwand der Kapazitätserschöpfung einer - hier nicht mehr im Streit befindlichen - Verpflichtungsklage auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes trotz des gesetzlich verbrieften Anspruchs entgegengehalten werden kann, weil die Gerichte keinen nicht vorhandenen Betreuungsplatz zusprechen können (vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01.11.2000 - 2 M 32/00 -, juris), ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt.
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Der Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg hat mit Beschluss vom 29.11.2013 (- 12 S 2175/13 -, juris) entschieden, dass dann, wenn für ein Kind unter drei Jahren ein freier, bedarfsgerechter und wohnortnaher Betreuungsplatz nur noch bei einer Tagespflegeperson und nicht in einer von den Eltern gewünschten Kindertagesstätte zur Verfügung stehe, der Jugendhilfeträger den Rechtsanspruch auf U3-Betreuung mit dem Angebot dieses freien Platzes erfülle und ein Anspruch auf Kapazitätserweiterung nicht bestehe (ebenso OVG NW, Beschluss vom 14.08.2013 - 12 B 793/13 -; s. auch Hess. VGH, Beschluss vom 04.02.2014 - 10 B 1973/13 - mit kritischer Anm. in JAmt 2014, 269 f.; jeweils juris). Diese in Eilverfahren ergangenen Entscheidungen betreffen allerdings in erster Linie das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern aus § 5 SGB VIII im Hinblick auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagespflegeperson bzw. beziehen sich auf einen Förderplatz in einer bestimmten kommunalen Einrichtung. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 28.05.2014 (- 7 A 10276/14 -, Rn. 36; juris) entschieden, dass nach dortigem Landesrecht Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf einen Kindergartenplatz haben und dieser Anspruch nicht etwa in dem Sinne unteilbar sei, dass er nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt als der Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes geltend gemacht und erfüllt werden könnte. In der Literatur wird ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass der Einwand der Kapazitätserschöpfung im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht in Betracht komme. Der Erfüllungsanspruch sei ein unbedingter „Verschaffungsanspruch“, dem weder Kapazitätsgrenzen noch finanzielle Engpässe entgegengehalten werden könnten. § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII impliziere einen Anspruch auf Kapazitätserweiterung, bis alle Kinder im relevanten Alter einen Platz haben. Andernfalls könne die Erfüllung des Anspruchs durch schlichtes Nichtstun unterlaufen werden. (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 ff.; 2841; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 ff., 387; Meysen/Beckmann, DIFuJ vom 21.12.2012, S. 6; Schwarz/Lammert, ZKJ 2014/361 ff., 362; s. auch Wiesner/Grube/Kößler, „Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung“, S. 14).
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Nachdem die Beklagte in dem auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes gerichteten Parallelverfahren 7 K 5011/13 erklärt hat, sie könne dem Kläger vor Erreichen des 3. Lebensjahres keinen Krippenplatz zur Verfügung stellen und die Beteiligten daraufhin übereinstimmend das Verfahren für erledigt erklärt haben, bedürfen die mit diesem Streitgegenstand zusammenhängenden Fragen keiner Klärung mehr.
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Selbst wenn man annehmen wollte, dass bei - nachgewiesener - Kapazitätserschöpfung der Primäranspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht gerichtlich durchgesetzt werden kann, schlägt dies jedenfalls nicht auf den Sekundäranspruch auf Kostenerstattung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII durch. Dies ergibt sich bereits aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2013 (a.a.O.), dem ebenfalls die Fallgestaltung zugrunde lag, dass die dortige Beklagte den Anspruch „nicht erfüllen konnte“ (Rn. 5). Nach dieser Rechtsprechung setzt sich die „Primärverantwortung“ des für die Gewährleistung verantwortlichen Jugendhilfeträgers sekundär in der Verantwortung für die Übernahme der Kosten fort, wenn die geschuldete Leistung anderweitig beschafft werden musste. Auch in der o.g. obergerichtlichen Rechtsprechung, die einen Anspruch auf Schaffung eines zusätzlichen Betreuungsplatzes verneint, besteht Einigkeit, dass dann, wenn der Primäranspruch auf Förderung mangels eines offenen Betreuungsplatzes vom zuständigen Jugendhilfeträger nicht erfüllt werden kann, Sekundäransprüche in Betracht kommen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 04.02.2014 - 10 B 1973/13 -; ebenso OVG Schleswig-Holstein Beschluss vom 01.11.2000 – 2 M 32/00 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.05.2014 - 7 A 10276/14 - und 25.10.2012 - 7 A 10671/12 -; VG Mainz, Urteil vom 10.05.2012 - 1 K 981/11.MZ -; jeweils juris).
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Dem Anspruch auf Kostenerstattung entsprechend § 36a Abs. 3 SGB VIII ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht deshalb erloschen, weil sich der Primäranspruch für die Vergangenheit durch Zeitablauf erledigt hat. Richtig ist, dass sich die Kinderbetreuung, die - trotz Rechtsanspruchs - nicht für den Zeitraum gewährt wird, für den sie begehrt wird, nicht verschieben lässt, sondern für diesen Zeitraum in irreversibler Weise unerfüllt bleibt; der Anspruch auf Zuweisung eines Platzes erledigt sich durch Zeitablauf (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 38 unter Bezugnahme auf Rixen, NJW 2012, 2839 ff., 2841 und Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 ff., 390). Soweit der Primäranspruch auf einen Betreuungsplatz nicht auf andere Weise rechtzeitig durchgesetzt werden kann, ist der Betroffene - wenn er den endgültigen Anspruchsverlust verhindern will - auf eine Selbstbeschaffung verwiesen, die es ihm dann noch ermöglicht, den Bedarf zu decken und zumindest die erforderlichen Aufwendungen hierfür erstattet zu bekommen. Es handelt sich damit um eine Konstellation, die regelmäßig dem Kostenerstattungsanspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII zugrunde liegt.
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Anders als die Beklagte meint (vgl. dazu auch deren Begründung des im Verfahren 7 K 5011/13 streitgegenständlichen Bescheids vom 19.03.2014) ist der Anspruch auf Kostenerstattung entsprechend § 36a Abs. 3 SGB VIII auch nicht dadurch erloschen, dass die Eltern des Klägers für diesen selbst einen Betreuungsplatz beschafft haben. Die Selbstbeschaffung ist vielmehr Anspruchsvoraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch und lässt ihn gerade nicht entfallen. Daran ändert auch der Hinweis der Beklagten, der Primäranspruch müsse nicht durch einen Platz in einer städtischen Kindertagesstätte erfüllt werden, nichts. Maßgeblich ist im streitgegenständlichen Verfahren nur, dass zum einen die Beklagte als für die Beschaffung eines Platzes verantwortliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe den Bedarf des Klägers nicht gedeckt hat und zum anderen nach der Intention des § 36a Abs. 3 der „Selbstbeschaffer“ nicht schlechter stehen soll als derjenige, dessen Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 37). Welche Rechtsfolgen sich ergeben würden, wenn die Beklagte dem Kläger einen zumutbar erreichbaren Betreuungsplatz in einer kirchlichen oder privaten Kinderbetreuungseinrichtung bzw. in der Kindertagespflege konkret angeboten hätte, unter welchen Voraussetzungen dadurch der Erfüllungsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erloschen wäre und in welcher Höhe Kosten für einen solchen Betreuungsplatz von den Eltern verlangt werden könnten, braucht im vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden zu werden, da ein solches Angebot nicht erfolgt ist (s. dazu etwa OVG NW, Beschluss vom 05.02.2014 - 12 B 17/14 -, juris, wonach der Rechtsanspruch des Kindes auf frühkindliche Förderung auch dadurch erfüllt werde, dass der Jugendhilfeträger den Eltern ein hinreichend konkretes Angebot eines zuzahlungsfreien Betreuungsplatzes in der Kindertagespflege unterbreitet, bei dem auch sichergestellt ist, dass die Eltern nicht neben der pauschalierten Kostenbeteiligung nach § 90 Abs. 3 SGB VIII noch ein zusätzliches Entgelt an die in Betracht kommenden Tagespflegepersonen für die gewährleistete Förderung zu entrichten haben).
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Die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe i.S.d. § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB VIII lagen auch in zeitlicher Hinsicht, nämlich bezüglich der beanspruchten ganztägigen Betreuung des Klägers, vor. Den erforderlichen Betreuungsumfang (montags -freitags 9.00 - 17.30 Uhr) haben die beiden in Vollzeit berufstätigen Eltern des Klägers zur Überzeugung des Gerichts dargetan.
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Gemäß § 24 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung in einer Tageseinrichtung - ohne einschränkende Voraussetzungen - nach dem individuellen Bedarf. Nach der Gesetzesbegründung (s. BT-Drucks. 16/9299, 1, 10, 15 und 15/3676, 24, 33) dient der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz der Erhöhung der Chancengleichheit der Kinder und der bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Daher ist bei der Prüfung des individuellen Bedarfs nicht nur der kindbezogene, sondern auch der elternbezogener Bedarf maßgeblich (zum zeitlichen Umfang s. auch DiJuF-Rechtsgutachten vom 13.6.2013, JAmt 2013, 395 ff.; Pauly/Beutel, DÖV 2013, 445; Schübel-Pfister, NVwZ, 2013, 385 ff., 389; Meysen/Beckmann, DIFuJ-Rechtsgutachten vom 21.12.2012, S. 14 ff.; Rixen, NJW 2012, 2839 ff., 2840). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch der zeitliche Umfang ist Teil des Rechtsanspruchs und unterliegt nicht dem Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 ff., 2840). Damit ist gewährleistet, dass alle Eltern, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht, ein Förderangebot für ihr Kind erhalten, das ihren individuellen Betreuungswünschen entspricht (BT-Dr. 16/9299, S. 15).
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Im vorliegenden Fall haben die Eltern des Klägers mit der dafür vorgesehenen Erklärung vom 27.02.2013 gegenüber der Beklagten mitgeteilt, sie seien beide berufstätig, und im weiteren Verlauf den Betreuungsbedarf des Klägers mit montags - freitags 9.00 - 17.30 Uhr, d.h. 8,5 Stunden, angegeben, was nach den städtischen Vergabekriterien von der Beklagten mit 2 Punkten (ein Kind, beide Eltern beschäftigt) bewertet wurde. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Kostenerstattung haben die Eltern den Betreuungsbedarf mit Schreiben vom 17.02.2014 nochmals im Einzelnen erläutert. Sie haben vorgetragen, die Mutter des Klägers sei Produktmanagerin bei der Sch. GmbH in S. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden (8.00 Uhr bis 17.30 Uhr) oder auch mehr. Der Vater des Klägers sei selbständiger Unternehmer mit Full-Service. Er betreibe eine Werbeagentur in S. in der R-Straße mit mehr als 40 Arbeitsstunden/Woche (ca. 10.00 bis 18.30 Uhr) sowie nach Bedarf an Samstagen und Sonntagen. In der Regel bringe der Vater den Kläger täglich zur KiTa und die Mutter hole ihn dort ab.
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Aufgrund dieser Angaben ist die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 19.03.2014 selbst davon ausgegangen, dass der gewünschte Betreuungsumfang begründet sei und sich aufgrund der Erwerbstätigkeit der Eltern des Klägers ein erweiterter Betreuungsumfang ergebe. Auch die in der vorgelegten Behördenakte des Beklagten befindliche „RA-U3-Checkliste“ geht davon aus, dass eine Ganztagsbetreuung benötigt werde. Die tatsächlichen Angaben der Eltern des Klägers zu ihrer Berufstätigkeit sind von der Beklagten nicht in Frage gestellt worden.
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Der geltend gemachte Bedarf für eine Ganztagsbetreuung wird auch nicht nachträglich durch den Vortag der Beklagten in der Klageerwiderung in Frage gestellt, im Hinblick auf die Selbständigkeit des Vaters des Klägers könne nicht ausgeschlossen werden, dass es diesem möglich sei, seine Geschäfte mit einer zumindest teilweisen Betreuung des Klägers zu vereinbaren. Der Vater des Klägers hat mit Schriftsatz vom 12.09.2014 nochmals im Einzelnen dargelegt, dass er ganztägig in einer Werbeagentur in der R-Straße in S. berufstätig ist und dazu zusätzlich eine Bestätigung seines Mitgesellschafters vorgelegt, aus der sich auch ergibt, dass die ganztägige Anwesenheit des Vaters des Klägers in der Agentur unverzichtbar sei. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, wie der Vater des Klägers diesen während seiner Arbeitszeit betreuen soll.
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Die Deckung des Betreuungsbedarfs hat auch i.S.d. § 36 a Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII keinen zeitlichen Aufschub geduldet.
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Die Eltern des Klägers sind beide ganztägig berufstätig und waren dementsprechend im maßgeblichen Zeitraum (d.h. hier: ab dem 01.08.2013) dringend auf eine entsprechende Betreuung des Klägers angewiesen. Die Beklagte hat ihnen keinen Betreuungsplatz angeboten und auch nicht in Aussicht gestellt. Vielmehr hat die Beklagte den Eltern des Klägers u.a. mit Schreiben vom 15.04.2013 mitgeteilt, dass der Kläger bei der Platzvergabe für das Kindergartenjahr 2013/2014 nicht berücksichtigt werden könne. Mit Bescheid vom 12.09.2013 bzw. Widerspruchsbescheid vom 12.11.2013 hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege nach § 24 Abs. 2 SGB VIII förmlich abgelehnt. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung des dagegen gerichteten Klageverfahrens (7 K 5011/2013) erklärt hat, könne sie dem Kläger auch vor Vollendung des 3. Lebensjahres keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen.
- 85
Unter diesen Voraussetzungen steht dem Anspruch auf Erstattung der Selbstbeschaffungskosten auch nicht entgegen, dass der Kläger seinen Primäranspruch auf Zuweisung eines zumutbaren Betreuungsplatzes im Klageverfahren 7 K 5011/13 nicht weiterverfolgt hat (vgl. dazu VG Köln, Urteil vom 09.05.2014 - 19 K 5305/13 -, juris). Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12.09.2013 (a.a.O., Rn. 50 ff.) ausgeführt hat, hat der Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes in § 36a SGB VIII keinen Niederschlag gefunden. Etwas anderes könne allenfalls gelten, wenn dadurch rechtzeitige Abhilfe erwartet werden könne. Ungeachtet der rechtlichen Probleme, die, wie oben dargelegt, mit der prozessualen Durchsetzung des Verschaffungsanspruches verbunden sind, ergibt sich aus dem Verwaltungsverfahren sowie dem Klageverfahren auf Verschaffung eines Betreuungsplatzes, dass im vorliegenden Fall rechtzeitige Abhilfe nicht zu erwarten war.
- 86
Auch die Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist nicht zu beanstanden.
- 87
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 a Abs. 3 SGB VIII vor, ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der „erforderlichen Aufwendungen“ verpflichtet. Der Vorbehalt der Erforderlichkeit der Aufwendungen verpflichtet den Berechtigten zu wirtschaftlichem Handeln, so dass zumutbare Möglichkeiten der Kostenbegrenzung im Rahmen der Selbstbeschaffung zu nutzen sind (vgl. OVG NW, Beschluss vom 17.03.2014 - 12 B 70/14 -, Rn. 31 ff., m.w.N., juris). Aufwendungen für eine selbstbeschaffte Betreuung sind hinsichtlich deren zeitlichen Umfangs soweit erforderlich, wie es der individuelle Betreuungsbedarf gebietet (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Schließlich reduziert sich der Aufwendungsersatzanspruch um ersparte (fiktive) Kosten.
- 88
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger durch die Beschaffung eines Betreuungsplatzes in der privaten Kindertageseinrichtung „E.“ nicht gegen seine Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln verstoßen.
- 89
Die Beklagte hat dazu vorgetragen, der Kläger habe sich nur für eine städtische Kita, die V., angemeldet, obwohl in näherer Umgebung zur Wohnung weitere städtische Kitas existierten. Gerade wegen der Tatsache, dass der seit dem 01.08.2013 bestehende Anspruch auf Verschaffung eines Kita-Platzes gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII von den Gemeinden trotz aller Anstrengungen nicht in vollem Umfang erfüllt werden könne und dies auch durch entsprechende Berichterstattung in den Medien allseits bekannt sei, habe der Kläger sich bei mehreren Kitas bewerben müssen. Indem er sich auf eine einzelne Bewerbung konzentriert habe, habe er seine Chancen, einen Kita-Platz zu erhalten, massiv reduziert und damit eine sonst womöglich unnötige Selbstbeschaffung erst erforderlich gemacht. Auch sei nicht erkennbar, dass der Kläger neben der Beschaffung eines Kita-Platzes im „E.“ weitere Anstrengungen unternommen habe, auch andere nichtstädtische Einrichtungen in näherer Umgebung zu kontaktieren und preislich zu vergleichen.
- 90
Dieser Einwand stellt den Erstattungsanspruch nicht mit Erfolg in Frage.
- 91
Grundsätzlich gilt, dass die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch im individuellen Einzelfall verantwortlich ist und es nicht auf die Eltern abwälzen kann, durch eine möglichst große Zahl von Einzelanmeldungen oder durch Suche im städtischen Online-Portal X ihre Chance auf einen Betreuungsplatz zu realisieren. Wie ebenfalls bereits im Einzelnen ausgeführt, haben die Eltern des Klägers nach ihrer - bereits kurz nach dessen Geburt erfolgten - ersten Anmeldung in der Folgezeit schriftlich und mündlich gegenüber der Beklagten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen im Hinblick auf ihre berufliche Situation überhaupt um einen Betreuungsplatz für den Kläger geht, ohne auf einer speziellen Einrichtung zu bestehen. Schließlich waren die Aufwendungen für einen privaten Kinderbetreuungsplatz auch deshalb „erforderlich“, weil unstreitig - bis zum heutigen Zeitpunkt - in einer städtischen Einrichtung kein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Wie die Beklagte auf gerichtliche Anfrage im Klageverfahren 7 K 5011/13 mit Schriftsatz vom 23.05.2014 mitgeteilt hat, befinden sich in zumutbarer Entfernung zur Wohnung des Klägers zwar zehn städtische Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren; diese Einrichtungen seien aber voll belegt, und der Kläger könne auch für das Kindergartenjahr 2014/2015 nicht berücksichtigt werden. Unter diesen Voraussetzungen kann keine Rede davon sein, dass der Kläger durch sein Verhalten seine Chancen, einen Kita-Platz zu erhalten, massiv reduziert und damit eine sonst womöglich unnötige Selbstbeschaffung erst erforderlich gemacht hat.
- 92
Der Kläger hat darüber hinaus auch seine Anstrengungen nicht alleine auf die private Kindertageseinrichtung „E.“ konzentriert. Auf den entsprechenden Einwand der Beklagten hat der Kläger mit Schriftsatz vom 12.09.2014 vielmehr zur Überzeugung des Gerichts - und von der Beklagten nicht bestritten - dargelegt, dass er im Vorfeld erfolglos eine Vielzahl weiterer kirchlicher oder privater Betreuungseinrichtungen kontaktiert (Kindertagesstätte A, Kath. Kinderhaus B, Evangelischer Kindergarten C, D-Kindertagesstätte, Kindervilla F, Tagesmütter und Pflegeeltern S. e.V.) bzw. im X-Portal S. nach geeigneten Plätzen gesucht hat.
- 93
Ergänzend weist die Kammer in diesem Zusammenhang auch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.10.2012 (- 5 C 21/11 -, juris) hin, dessen Erwägungen hinsichtlich der Erforderlichkeit und Geeignetheit einer selbstbeschafften Maßnahme auch im vorliegenden Fall sinngemäß Anwendung finden können. Hat danach das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne vertretbar, kann ihr im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten.
- 94
Die erforderlichen Aufwendungen für die selbstbeschaffte Hilfe ergeben sich aus dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Vertrag, den die Eltern des Klägers mit dem „E.“ geschlossen haben, sowie dem Schreiben des „E.“ vom 12.09.2013. Danach betragen die monatlichen Kosten für die Betreuung des Klägers monatlich 680,-- EUR (Vollzeitbetreuung von Montag - Freitag 590,-- EUR zuzüglich Verpflegungskosten in Höhe von 90,-- EUR). Darüber hinaus sind eine Anmeldegebühr in Höhe von 320,-- EUR sowie eine Jahresgebühr in Höhe von 120,-- EUR zu entrichten.
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In nicht zu beanstandender Weise hat der Kläger von den monatlichen Kosten für die private Betreuungseinrichtung die fiktiven Kosten abgezogen, die seine Eltern für eine Unterbringung in einer städtischen Betreuungseinrichtung hätten aufbringen müssen.
- 96
Wie sich aus den beigezogenen Behördenakten der Beklagten sowie aus den Gerichtsakten ergibt, erfüllt die Beklagte in ständiger Praxis Ansprüche auf frühkindliche Förderung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII durch das Angebot eines Betreuungsplatzes in einer städtischen Kindertageseinrichtung. Dazu hat sie für die jeweiligen städtischen Einrichtungen geltende Vergaberichtlinien aufgestellt, nach denen die Plätze besetzt bzw. Wartelisten geführt werden. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Beklagte nach ihrer Verwaltungspraxis den Rechtsanspruch - auch - durch Kooperation mit kirchlichen oder freien Träger erfüllt bzw. wie in einem solchen Fall die Kostenbelastung der Eltern aussieht, die wohl dem Gleichbehandlungsgebot Rechnung tragen müsste. Auch im Hinblick auf die Tatsache, dass diejenigen, die sich die unaufschiebbar notwendige Leistung, über deren Gewährung der Jugendhilfeträger nicht rechtzeitig entschieden hat, gemäß § 36 a Abs. 3 SGB VIII selbstbeschaffen, nicht schlechter stehen sollen als diejenigen, deren Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 (a.a.O., Rd. 15), ist es daher geboten, als fiktive Aufwendungen die Kosten der Betreuung in einer städtischen Betreuungseinrichtung in Abzug zu bringen.
- 97
Der Kläger ist bei seinen Klageanträgen davon ausgegangen, dass in einer städtischen Kindertageseinrichtung für die Betreuung des Klägers im geltend gemachten zeitlichen Umfang monatlich 273,-- EUR zuzüglich 65,-- EUR Verpflegungskosten zu zahlen gewesen und darüber hinausgehende Anmeldungs- oder Jahresgebühren nicht angefallen wären.
- 98
Davon ausgehend errechnen sich die Mehrkosten für einen selbstbeschaffenen Betreuungsplatz in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. in nicht zu beanstandender Weise wie folgt:
- 99
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- für die Zeit von August 2013 bis Juni 2014
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(geltend gemacht in der Klageschrift vom 18.07.2014)
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Anmeldegebühr
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320,-- EUR
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anteilige Jahresgebühr 2013 für fünf Monate
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(120,-- EUR : 12 x 5 Monate)
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50,-- EUR
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Jahresgebühr 2014
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120,-- EUR
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Kostendifferenz Betreuungskosten
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(590,-- EUR ./. 273,-- EUR x 11 Monate)
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3.487,-- EUR
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Kostendifferenz Verpflegung
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(90,-- EUR ./. 65,-- EUR x 11 Monate)
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275,-- EUR
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4.252,-- EUR
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- 100
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- für die Zeit von Juli bis August 2014
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(geltend gemacht mit Schriftsatz vom 12.09.2014)
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Kostendifferenz Betreuungskosten
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(590,-- EUR ./. 273,-- EUR x 2 Monate)
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634,-- EUR
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Kostendifferenz Verpflegung
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(90,-- EUR ./. 65,-- EUR x 2 Monate)
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50,-- EUR
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684,-- EUR
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- 101
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- für die Zeit von September bis Oktober 2014
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(geltend gemacht mit Schriftsatz vom 20.11.2014)
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Kostendifferenz Betreuungskosten
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(590,-- EUR ./. 273,-- EUR x 2 Monate)
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634,-- EUR
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Kostendifferenz Verpflegung
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(90,-- EUR ./. 65,-- EUR x 2 Monate)
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50,-- EUR
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684,-- EUR
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- 102
Zu der Berechnung hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Kosten für eine Betreuung des Klägers in einer städtischen Kindertagesstätte (Ganztagesbetreuung 0 - 3 Jahre mit Zuschlag für Früh-/Spätbetreuung bis 2 Stunden für Familien ohne Familiencard) nach der seit dem 01.08.2012 geltenden „Satzung der Stadt S. über die Benutzung von städtischen Tageseinrichtungen für Kinder“ und dem dazu geltenden Gebührenverzeichnis im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 236,-- EUR Benutzungsgebühren zuzüglich 65,-- EUR Verpflegungskosten betragen hätten. Darin sei der Kleinkindzuschlag enthalten. Soweit der Kläger bei seiner Berechnung mithin höhere fiktive Aufwendungen abgezogen hat als tatsächlich angefallen wären (273,-- EUR statt 236,-- EUR), tangiert dies die Begründetheit der Klage nicht, da der Ansatz der Beklagten allenfalls zu einem höheren Erstattungsbetrag führen würde.
- 103
Der Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der Klage und der Klageerweiterungen, die in verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch Erhebung der Klage eintritt (vgl. § 90 VwGO), ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechend.
- 104
Die Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres auch die weiteren Kosten für seine Unterbringung in der privaten Kinderkrippe „E.“ in S. zu erstatten, soweit diese die Kosten überschreiten, die bei einer Unterbringung des Klägers in einer städtischen Tageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII entstehen würden, solange dem Kläger kein zumutbarer Platz in einer städtischen Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege durch die Beklagte bereitgestellt wird, ist ebenfalls zulässig und begründet.
- 105
Die Beklagte kann nach ihrer im Verfahren 7 K 5011/13 abgegebenen Erklärung den Rechtsanspruch des Klägers auf frühkindliche Betreuung aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch bis zur Vollendung seines dritten Lebensjahres nicht erfüllen, bestreitet aber auch den zukünftigen Anspruch des Klägers auf Erstattung der Mehrkosten für den selbstbeschafften privaten Betreuungsplatz. Der Kläger bzw. seine Eltern haben ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO daran, das sich aus §§ 24 Abs. 2, 36a Abs. 3 SGB VIII ergebende Rechtsverhältnis bezüglich der Betreuung bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres endgültig klären zu lassen, um ihr künftiges Verhalten - auch in finanzieller Hinsicht - an der Feststellung orientieren zu können und bezüglich ihrer Aufwendungen nicht länger in Vorlage treten zu müssen.
- 106
Die Begründetheit der begehrten Feststellung ergibt sich, wie im Einzelnen dargelegt, aus einer entsprechenden Anwendung des § 36a Abs. 3 SGB VIII.
- 107
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
- 108
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.
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