Schnellnavigation

Steuerleiste | Navigation | Suche | Inhalt

Trefferliste

Dokument

  in html speichern drucken pdf Dokument Ansicht maximierenStandardansicht wiederherstellen
Kurztext
Langtext
Gericht:VG Karlsruhe 3. Kammer
Entscheidungsdatum:23.09.2019
Aktenzeichen:3 K 4906/19
ECLI:ECLI:DE:VGKARLS:2019:0923.3K4906.19.00
Dokumenttyp:Beschluss
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 Abs 1 S 1 Nr 1 VIG, § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 VIG, § 4 Abs 1 VIG, § 4 Abs 4 S 1 VIG, § 5 Abs 4 VIG

 Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz; Herausgabe von Informationen über lebensmittelrechtliche Betriebskontrollen

Leitsatz

Die Anforderungen an die Feststellung einer nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG sind dann nicht erfüllt, wenn eine Behörde nicht aktenkundig gemacht hat, unter welche konkret benannte Rechtsvorschrift sie eine als Verstoß eingeordnete Beanstandung subsumiert hat.(Rn.47)

Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.07.2019 wird angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt zu 2/3 die Antragsgegnerin und zu 1/3 die Antragstellerin. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine von der Antragsgegnerin beabsichtigte Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG).

2

Die Antragstellerin betreibt ein Restaurant in der ... in Karlsruhe. Mit E-Mail vom 15.03.2019 beantragte der Beigeladene über das von foodwatch e.V. bzw. FragDenStaat betriebene Internetportal „Topf Secret“ bei der Antragsgegnerin die Herausgabe von Informationen darüber, wann in dem genannten Betrieb die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen stattgefunden hätten und ob es hierbei zu Beanstandungen gekommen sei. Für den Fall, dass es Beanstandungen gegeben habe, beantragte er die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte. Eine Antwort erbat er in elektronischer Form.

3

Die Antragsgegnerin teilte dem Beigeladenen hierauf mit Schreiben vom 18.03.2019 mit, dass sein Antrag dahingehend ausgelegt werde, dass er Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu allen Daten über festgestellte, nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen nach dem Lebensmittelrecht in dem genannten Betrieb für die letzten beiden Überprüfungen begehre. Eine Herausgabe von Kontrollberichten sehe das Verbraucherinformationsgesetz nicht vor.

4

Nach Anhörung der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.06.2019 unter anderem zu der Frage, ob eine festgestellte nicht zulässige Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG vorliege, mit, dass grundsätzlich der vor Ort anwesende Lebensmittelkontrolleur eine Subsumtion durchführe, auch wenn diese, wie vorliegend, nicht schriftlich dokumentiert sei. Die Rechtsquellen könnten gegenüber der Antragstellerin allerdings benannt werden. Ferner wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, dem Anfragenden die Informationen, ergänzt durch die jeweilige Rechtsvorschrift, mit Ablauf des 03.07.2019 zu übermitteln. Eine Übersendung des Grundbescheids erfolge nicht.

5

In Hinblick auf die Entscheidung des VG Mainz vom 24.06.2019 (– 1 L 475/19.MZ –, juris) hielt die Antragsgegnerin an dieser angekündigten Vorgehensweise nicht fest.

6

Mit Bescheid vom 10.07.2019 gab sie dem Antrag des Beigeladenen auf Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz statt. Der Informationszugang werde frühestens mit Ablauf des 24.07.2019 in Form eines einfachen Briefes postalisch gewährt. Unter „Hinweis“ führte die Antragsgegnerin aus, dass die VIG-Auskunft nur dem privaten Gebrauch diene. Eine weitere Verwendung der Informationen werde durch das Verbraucherinformationsgesetz nicht geregelt und geschehe in eigener Verantwortung des Verbrauchers.

7

Die Antragstellerin hat gegen diesen, auch ihr gegenüber bekanntgegebenen Bescheid mit Schriftsatz vom 16.07.2019 Widerspruch erhoben und am 24.07.2019 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe die Feststellung, hilfsweise die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs, weiter hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

8

Zur Begründung bringt sie im Wesentlichen vor, dass die vom Beigeladenen begehrten Informationen unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG fielen, so dass die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG nicht einschlägig sei, mithin dem Widerspruch aufschiebende Wirkung zukomme. Bezogen auf den hilfsweise gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass im Rahmen der Begründetheit ihr Aussetzungsinteresse überwiege, zumal einmal herausgegebene Informationen nicht mehr „zurückgeholt“ werden könnten. Es fehle vorliegend an einer festgestellten nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Ferner verstoße eine Informationsherausgabe gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Art und Weise der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs über das Portal „Topf Secret“ sei rechtsmissbräuchlich. Die Herausgabe der Informationen im Bewusstsein, dass diese auf der Internetplattform eines privaten Anbieters veröffentlicht werden sollten, verstoße gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. § 40 Abs. 1a LFGB und die strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben hierzu würden unterlaufen, wenn der Staat die Informationen herausgebe, ohne dass er Einfluss auf eine zukünftige Veröffentlichung durch den Privaten nehmen könne. Die Veröffentlichung behördlicherseits getroffener Feststellungen sei kraft Gesetzes alleine dem Staat zugewiesen. Ferner sei die Anordnung des Sofortvollzugs in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG nicht verfassungsgemäß.

9

Die Antragstellerin beantragt,

10

festzustellen, dass ihr Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.07.2019 aufschiebende Wirkung hat,

11

hilfsweise die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.07.2019 anzuordnen,

12

weiter hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen die Kontrollberichte bzw. die darin enthaltenen Informationen nicht oder nur verbunden mit der Untersagung der Veröffentlichung unter Zwangsgeldandrohung zu übersenden.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass der weit auszulegende § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG nicht nur Feststellungen unter ausdrücklichem Lebensmittelbezug, sondern auch Abweichungen von Hygienevorschriften erfasse. Einer Feststellung durch bestandskräftigen Verwaltungsakt bedürfe es nicht. Die gefertigten Berichte nach erfolgter Betriebsprüfung seien ausreichend, um als festgestellte Abweichungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu gelten. Hierbei sei die Feststellung erfolgt, dass eine Abweichung vorliege und diese Abweichung als Mangel zu bewerten sei. Es habe somit eine rechtliche Bewertung und Subsumtion der Abweichung stattgefunden. Ein Rechtsmissbrauch liege nicht vor. Die Frage, ob der Einzelne durch Weitergabe der Informationen an die Internetplattform „Topf Secret“ Rechte der Antragstellerin verletze, sei zivilrechtlicher Natur. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden in Hinblick auf das Verbraucherinformationsgesetz nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege, trotz Vorwegnahme der Hauptsache, das Vollzugsinteresse.

16

Der Beigeladene hat weder einen Antrag gestellt noch Stellung genommen.

17

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die Behördenakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

18

Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.07.2019 hat keinen Erfolg (dazu 1.). Der hilfsweise gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10.07.2019 anzuordnen, ist zulässig (dazu 2.1.) und begründet (dazu 2.2.). Über den weiter hilfsweise gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bedurfte es keiner Entscheidung, da der erste Hilfsantrag der Antragstellerin Erfolg hat.

19

1. Der Antrag auf Feststellung, dass der Widerspruch der Antragstellerin kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat, ist nicht zulässig.

20

Grundsätzlich kann ein Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines eingelegten Rechtsbehelfs unter anderem dann begehren, wenn eine Behörde irrtümlicherweise vom Vorliegen der Voraussetzungen einer sofortigen Vollziehbarkeit kraft Gesetzes ausgeht und die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs missachtet (vgl. hierzu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage, § 80 Rn. 120 m.w.N.).

21

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist dies vorliegend aber nicht der Fall. Denn die Antragsgegnerin geht zu Recht davon aus, dass dem Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 10.07.2019 kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt, so dass der Feststellungsantrag bereits nicht statthaft ist.

22

Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG haben Widerspruch und Anfechtungsklage in den in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Fällen keine aufschiebende Wirkung. Das Informationsbegehren des Beigeladenen richtet sich in der durch die Antragsgegnerin ausgelegten Form (vgl. Schreiben vom 18.03.2019) ausdrücklich auf den Zugang zu Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Antragstellerin, wonach die streitgegenständlichen Informationen unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG fallen, mit der Folge, dass ihrem Widerspruch – mangels Anwendbarkeit von § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG – kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 VwGO) aufschiebende Wirkung zukommt. Denn der Auskunftsanspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG umfasst Informationen über allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte, was etwa durch die in der Norm genannten Auswertungen und Statistiken deutlich wird (vgl. Heinicke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2019, § 2 VIG Rn. 56). Konkrete Rechtsverstöße und die behördliche Reaktion hierauf fallen hingegen unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG (wie hier m.w.N. VG Sigmaringen, Beschluss vom 08.07.2019 – 5 K 3162/19 –, juris, Rn. 5; VG Weimar, Beschluss vom 23.05.2019 – 8 E 423/19 –, juris, Rn. 4; Rossi in BeckOK Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal, Stand: 01.05.2019, § 2 VIG Rn. 32). Der Beigeladene begehrt vorliegend keine Informationen über allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte, sondern vielmehr Informationen über mögliche Rechtsverstöße im Betrieb der Antragstellerin. Zu den unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fallenden Informationen gehört auch das Datum einer Kontrolle. Denn die Information darüber, wann eine Abweichung von den in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Vorschriften vorgelegen hat, ist für einen Auskunftbegehrenden von essentieller Bedeutung und gehört zum Kernbestandteil des konkreten Sachverhalts, ohne den die Information über eine festgestellte Abweichung zeitlich nicht eingeordnet werden kann (vgl. wie hier VG München, Beschluss vom 08.07.2019 – M 32 SN 19.1346 –, juris, Rn. 50).

23

2. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist zulässig (dazu 2.1.) und begründet (dazu 2.2.).

24

2.1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Widerspruchs der Antragstellerin ist gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

25

Der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.07.2019 hat – wie bereits ausgeführt wurde – gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, da sich das Informationsbegehren des Beigeladenen in der durch die Antragsgegnerin ausgelegten Form auf den Zugang zu Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG richtet (dazu auch unter 2.2.1.).

26

Die Antragstellerin als Drittbetroffene ist analog § 42 Abs. 2 VwGO auch antragsbefugt. Sie kann zum einen eine mögliche Verletzung der einfachgesetzlichen drittschützenden Norm des § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG geltend machen, die ausdrücklich den Schutz privater Rechte vorsieht. Zum anderen kann sie sich wegen der Herausgabe von Informationen über Mängel in ihrem Betrieb auf ihr grundrechtlich geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf ihre Berufsfreiheit (Art. 12 GG) berufen (vgl. m.w.N. Bayerischer VGH, Urteil vom 16.02.2017 – 20 BV 15.2208 –, juris, Rn. 19; VG Freiburg, Beschluss vom 20.08.2019 – 4 K 2530/19 –, juris, Rn. 7).

27

2.2. Der zulässige Antrag ist begründet.

28

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt auf Antrag eines Betroffenen ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigene, originäre Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse sowie das Interesse des Beigeladenen an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache bei summarischer Prüfung hingegen offensichtlich erfolgreich sein, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.

29

In Verfahren, in denen – wie vorliegend – das Eilverfahren praktisch die Funktion des Hauptsacheverfahrens einnimmt, ist zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine dem Hauptsacheverfahren angenäherte, vertiefte Prüfung der Sach- und Rechtslage geboten (vgl. hierzu Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Februar 2019, § 80 Rn. 411 m.w.N.). Dass sich der zu gewährleistende (effektive) Rechtsschutz in einer Konstellation wie der vorliegenden allein im gerichtlichen Eilverfahren abspielen soll, aber auch kann, war dem Gesetzgeber durchaus bewusst. In der Begründung zum Gesetzesentwurf kommt klar zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber das Interesse der Öffentlichkeit an einer schnellen Information in Kenntnis der durch den Sofortvollzug entstehenden Folgen für betroffene Dritte für „überragend“ hält, da nach einem längeren Zeitraum die Informationen „weitgehend wertlos“ seien (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 18 f.). Diese Wertung ist im Rahmen der Abwägung ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen wie hier VG Freiburg, a.a.O., Rn. 10; VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 10; VG Weimar, a.a.O., Rn. 11).

30

Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Antragstellerin aus. Zwar fallen die begehrten Informationen, deren Herausgabe die Antragsgegnerin beabsichtigt, grundsätzlich unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG (dazu 2.2.1.). Auch teilt die Kammer nicht die Einwände der Antragstellerin bezüglich der Antragstellung über „Topf Secret“ bzw. einer möglichen späteren Veröffentlichung der erlangten Informationen auf dieser Plattform (dazu 2.2.2.). Allerdings sind vorliegend nach Aktenlage die Anforderungen an die Feststellung einer nicht zulässigen Abweichung im Sinne dieser Vorschrift nicht erfüllt (dazu 2.2.3.). Angesichts dieses Umstands überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (dazu 2.2.4.).

31

2.2.1. Die Informationen, die der Beigeladenen begehrt, fallen grundsätzlich unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG.

32

Hiernach hat jeder nach Maßgabe des Verbraucherinformationsgesetzes Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über

33

1. von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen

34

a) des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes,
b) der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen,
c) unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze

35

sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a bis c genannten Abweichungen getroffen worden sind.

36

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährt § 2 Abs. 1 VIG einen „prinzipiell voraussetzungslosen“ Anspruch auf Gewährung der bei einer Behörde vorhandenen Informationen (BVerwG, Beschluss vom 15.06.2015 – 7 B 22.14 –, juris, Rn. 9 f.). Entsprechend des gesetzgeberischen Leitbilds des „mündigen Verbrauchers“ sollen diesem die bei der Behörde vorhandenen Informationen grundsätzlich ungefiltert zugänglich gemacht werden. So ist durch die Schaffung eines weiten Informationszugangs bezweckt, Einzelpersonen zu Sachwaltern des Allgemeininteresses zu machen (vgl. Bayerischer VGH, a.a.O., Rn. 38).

37

Grundsätzlich sind alle in der Anspruchsnorm verwendeten Begriffe entsprechend der gesetzgeberischen Intention weit auszulegen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 11). Wie das Bundesverwaltungsgericht inzwischen entschieden hat (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 60/2019 vom 29.08.2019 zum Urteil vom 29.08.2019, Az. 7 C 29.17; die Entscheidungsgründe liegen im Zeitpunkt dieses Beschlusses noch nicht vor) ist der Anspruch auf Zugang zu Verbraucherinformationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG nicht auf produktbezogene Informationen beschränkt. Zu dieser Frage hat bereits der durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigte Bayerische Verwaltungsgerichtshof (a.a.O., Rn. 38) ausgeführt, dass es für eine entsprechende Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm weder im Gesetzeswortlaut noch in Systematik, Teleologie oder Entstehungsgeschichte hinreichende Anhaltspunkte gibt. Ein derart enges Normverständnis, bei dem der Prozess der Herstellung, Verarbeitung, Lagerung und Lieferung von Erzeugnissen ausgeklammert würde, widerspricht zudem dem unionsrechtlichen Kontext des Verbraucherinformationsgesetzes (auch hierzu Bayerischer VGH, a.a.O., Rn. 38). Dieser überzeugenden ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Die Ausführungen der Antragstellerin vermögen keine anderweitige Einschätzung zu rechtfertigen.

38

Auch die weitere, bisher umstrittene Frage, ob eine nicht zulässige Abweichung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG durch Verwaltungsakt festgestellt sein müsse, ist nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich dahingehend geklärt, dass es einer Feststellung durch Verwaltungsakt nicht bedarf (vgl. auch hierzu Pressemitteilung des BVerwG Nr. 60/2019 vom 29.08.2019). Ausreichend ist demnach, dass die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt hat. Hiergegen bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, auch keine verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken.

39

Eine nicht zulässige Abweichung – ein nach der Gesetzesintention ebenfalls weit auszulegender Begriff – umfasst jedes objektive Nichtübereinstimmen mit einschlägigen Rechtsvorschriften ohne Berücksichtigung subjektiver Elemente. Im Vergleich zu dem Begriff „Verstoß“, der sich in der früheren Fassung des Verbraucherinformationsgesetzes fand, legt der Begriff der „nicht zulässigen Abweichung“ eine niedrigere Eingriffsschwelle nahe (vgl. auch hierzu Bayerischer VGH, a.a.O., Rn. 42). Nicht erforderlich ist demnach, dass es zu einem Ordnungswidrigkeiten- oder gar Strafverfahren gekommen ist (vgl. hierzu Rossi in BeckOK Informations- und Medienrecht, a.a.O., § 2 VIG Rn. 15 f.). Auch enthält der Tatbestand keine Einschränkung nur auf Feststellungen, welche einen „ausdrücklichen Lebensmittelbezug“ aufweisen bzw. das Erfordernis einer lebensmittelbezogenen Kontamination (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.06.2019 – 29 L 1226/19 –, juris, Rn. 55). Dass die festgestellte Abweichung noch andauert, ist ebenfalls keine Voraussetzung des Informationszugangs (so auch Bayerischer VGH, a.a.O., Rn. 53; VG Weimar, a.a.O., Rn. 14; VG Freiburg, a.a.O., Rn. 15).

40

Soweit die Antragstellerin vorbringt, dass Kontrollberichte als solche nicht unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fielen, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen, da die Antragsgegnerin nicht beabsichtigt, diese herauszugeben (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin vom 18.03.2019).

41

2.2.2. Die Kammer teilt nicht die Bedenken der Antragstellerin bezogen auf die Antragstellung über das Internetportal „Topf Secret“ (vgl. hierzu ausführlich: Beschluss der Kammer vom 16.09.2019 – 3 K 5407/19 –, juris).

42

Der Beigeladene als natürliche Person ist Berechtigter des Anspruchs aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Dieser steht nach der klaren gesetzlichen Regelung jedermann zu und ist nicht von einem besonderen Interesse oder einer Betroffenheit abhängig. Der Umstand, dass der Beigeladene sich bei der Antragstellung der auf dem Internetportal „Topf Secret“ zur Verfügung gestellten Erleichterungen bedient hat, rechtfertigt hinsichtlich seiner Anspruchsberechtigung nach Auffassung der Kammer keine anderweitige Einschätzung (vgl. hierzu auch VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 26).

43

Der Antrag des Beigeladenen ist auch hinreichend bestimmt und lässt erkennen, auf welche Informationen er gerichtet ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 VIG). Hierfür ist es ausreichend, wenn der Antragsteller die begehrten Informationen so genau wie möglich umschreibt (vgl. Rossi in BeckOK Informations- und Medienrecht, a.a.O., § 4 VIG Rn. 3). Dies ist vorliegend der Fall. Von einem unzulässigen Ausforschungsantrag ist nicht auszugehen, zumal dem Antragsteller naturgemäß in der Regel keine weitergehenden Details zur Verfügung stehen, mit denen er sein Informationsbegehren über das bereits vorhandene Maß hinaus konkretisieren könnte (vgl. VG München, a.a.O., Rn. 51; VG Freiburg, a.a.O., Rn. 15).

44

Die Antragstellung ist auch nicht als missbräuchlich gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 VIG einzustufen. Diese Regelung soll eine angemessene Reaktion auf überflüssige und querulatorische Anfragen ermöglichen (vgl. Sicko in Debus, Informationszugangsrecht Baden-Württemberg, 1. Auflage 2017, § 4 VIG Rn. 15). Inwiefern die Geltendmachung eines individuellen jedermann zustehenden Informationsanspruchs missbräuchlich sein sollte, auch wenn bzw. weil sich der Beigeladene – wie viele andere Verbraucher auch – hierzu des Portals von „Topf Secret“ und den dort zur Verfügung gestellten Erleichterungen bedient, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen (wie hier VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 17). Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladene mit seiner Anfrage verfahrenswidrige Zwecke verfolgt und es ihm tatsächlich gar nicht um die begehrten Informationen geht. Die Motive, aus denen heraus die Internetplattform „Topf Secret“ betrieben wird, derer sich der Beigeladene im Rahmen seiner Antragstellung bedient hat, vermögen keine Missbräuchlichkeit der konkreten Anfrage des Beigeladenen zu begründen. Eine entsprechende Einordnung wäre mit der gesetzgeberischen Intention eines möglichst weitgehenden Informationsanspruchs, den der Einzelne als Sachwalter der Allgemeinheit geltend macht, auch nicht in Einklang zu bringen.

45

Abgesehen davon schützt die Vorschrift des § 4 Abs. 4 Satz 1 VIG nach der Auffassung der Kammer allein das allgemeine Interesse an einer funktionierenden Verwaltung, gesteht der Antragstellerin aber kein subjektives Abwehrrecht zu, eine sie betreffende Auskunftserteilung zu verhindern (so auch VG Freiburg, a.a.O., Rn. 18; Bayerischer VGH, a.a.O., Rn. 32, jeweils m.w.N.).

46

Schließlich teilt die Kammer auch nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragstellerin. Die Regelungen des Verbraucherinformationsgesetzes – darunter auch die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG – stehen mit Verfassungsrecht in Einklang. Die Grundsätze zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliches Informationshandeln sind nicht auf den Anspruch auf Zugang zu Informationen nach § 2 VIG zu übertragen. Dies gilt auch in Konstellationen, in denen der Auskunftsantrag – wie hier – über das Portal „Topf Secret“ gestellt wurde und eine spätere Veröffentlichung der erlangten Informationen auf dieser Plattform zu erwarten ist (vgl. zum Ganzen: Kammerbeschluss vom 16.09.2019 – 3 K 5407/19 –, juris).

47

2.2.3. Die Anforderungen an die behördliche Feststellung einer nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG sind im vorliegend streitgegenständlichen Einzelfall jedoch voraussichtlich nicht erfüllt.

48

Wie bereits ausgeführt wurde, ist inzwischen geklärt, dass eine nicht zulässige Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG keiner Feststellung durch Verwaltungsakt bedarf (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 60/2019 vom 29.08.2019). Ausreichend ist demnach, dass die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt hat.

49

Ausgehend von diesen Maßgaben ist die Antragsgegnerin vorliegend dieser Verpflichtung (noch) nicht nachgekommen. Wie die Kammer den Behördenakten entnehmen konnte, hat die Antragsgegnerin zwar zu den durchgeführten lebensmittelrechtlichen Kontrollen im Betrieb der Antragstellerin jeweils einen sogenannten „Besuchsbericht“ erstellt, der unter der Rubrik „Verstoß“, überschrieben mit „Mängel – Feststellung“, eine (geschwärzte) Aufzählung enthält. Durch die insoweit erfolgte Qualifizierung als Verstoß bzw. als festgestellte Mängel kann durchaus davon ausgegangen werden, dass eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse vorgenommen wurde. Allerdings muss die Abweichung nach dem Ausgeführten auch unter Würdigung der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt sein. Hieran fehlt es bisher. Zwar wird in den beiden Berichten jeweils unter der Rubrik „Fundstelle Gesetz“ mit „Art. 5 Abs. 1“ wohl auf eine Norm Bezug genommen. Um welche einschlägige Rechtsvorschrift es sich insoweit handeln soll, ist dem Bericht jedoch mangels Benennung derselben nicht zu entnehmen. Es ergibt sich ferner auch nicht aus der vorgelegten Behördenakte, dass die Antragsgegnerin an anderer Stelle – etwa in Form eines Aktenvermerks o.ä. – die als Rechtsverstöße qualifizierten Beanstandungen im Betrieb der Antragstellerin konkret benannten, unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fallenden Rechtsvorschriften zugeordnet und hierunter subsumiert hat. Vielmehr ist dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 24.06.2019 zu entnehmen, dass eine schriftliche Dokumentation der Subsumtion, welche in der Regel der vor Ort zuständige Lebensmittelkontrolleur durchführe, vorliegend nicht erfolgt ist. Eine abschließende aktenkundige Feststellung über nicht zulässige Abweichungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG, im Rahmen derer die Behörde den konkreten Sachverhalt sowie die einschlägige Rechtsvorschrift einer Würdigung unterzogen hat, fehlt damit im hier zu beurteilenden Fall. Alleine die Mitteilung, dass dem betroffenen Dritten „die entsprechenden Rechtsquellen“ benannt werden könnten, ist nicht ausreichend.

50

2.2.4. Die Interessenabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Antragstellerin aus. Denn ihr Widerspruch hat – da die Anforderungen an die Feststellung einer nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG nicht als erfüllt angesehen werden können – aller Voraussicht nach Erfolg, mit der Folge, dass ihr Aussetzungsinteresse im Rahmen der Abwägung gegenüber dem Vollzugsinteresse überwiegt.

51

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) eingegangen ist, seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).

52

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da im vorliegenden Fall die Hauptsache nicht vorweggenommen wird, war der demnach anzusetzende Auffangstreitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).

 


Abkürzung Fundstelle Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE200000173&psml=bsbawueprod.psml&max=true