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Gesamtvorschrift in der Gültigkeit zum 29.04.2021 bis 31.12.2025 Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums, des Innenministeriums und des Sozialministeriums zur Förderung von Diversionsmaßnahmen und zur Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe bei Straftaten jugendlicher und heranwachsender Beschuldigter sowie delinquentem Verhalten von Kindern (Zusammenarbeits- und Diversionsrichtlinien) Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums vom 18. Dezember 2018 – Az.: 4210/0091 JuM, 3-1210/40/370 IM, 22-6940-3 SM – Fundstelle: Die Justiz 2019, S. 18 Geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 09.03.2021 (GABl. 2021, S. 186) Bezug: | VwV des JuM vom 13. Dezember 2011 – Az.: 4201/0091 JuM, 3-1210/40/362 IM, 22-6940-3 SM (Die Justiz 2012 S. 7) |
InhaltsverzeichnisInhaltsübersicht- 1.
Allgemeines
- 2.
Anwendungsbereich
- 2.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
- 2.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
- 2.3
§ 47 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1 JGG
- 2.4
Vereinfachtes Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG
- 2.5
Förmliches Jugendstrafverfahren
- 3.
Verfahren und Verfahrensbeteiligte
- 3.1
Polizei
- 3.1.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
- 3.1.2
Vorgehen in den weiteren Stufen
- 3.1.3
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
- 3.1.4
Erledigung außerhalb der Diversion
- 3.1.5
Weitere Hinweise zur Sachbearbeitung durch die Polizei
- 3.2
Staatsanwaltschaft
- 3.2.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
- 3.2.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
- 3.2.3
Erledigung außerhalb der Diversion
- 3.3
Jugendgerichtshilfe
- 3.3.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
- 3.3.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
- 3.3.3
Erledigung außerhalb der Diversion
- 3.3.4
Weitere Hinweise zur Befassung der Jugend(gerichts) hilfe
- 4.
Zusammenarbeit in Folge delinquenten Verhaltens von Kinder
- 5.
Kooperation von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe zur Umsetzung dieser Richtlinien
- 6.
Inkrafttreten, Außerkrafttreten und Befristung
Anlage - 1.
Allgemeines
Nach den Erkenntnissen kriminologischer Forschung ist Jugendkriminalität im Bagatellbereich bis hin zu mittelschweren Verfehlungen zumeist ein entwicklungstypisches, großteils unentdeckt bleibendes Verhalten, das sich im weiteren Reifungsprozess von selbst verliert. Eine jugendstrafrechtliche Reaktion beziehungsweise Sanktion ist somit bei einer Vielzahl von jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten entbehrlich. Die prozessualen Möglichkeiten zur Verfahrenseinstellung gemäß den §§ 45 und 47 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) erlauben es daher, nach anderweitiger erzieherischer Einwirkung auf den Beschuldigten von einer weiteren Strafverfolgung abzusehen (Diversion). Erzieherische Maßnahmen nach §§ 45 und 47 JGG haben in erster Linie dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat erfolgen. Daher kommt der Polizei, in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und der Jugendgerichtshilfe, auf Grund ihrer örtlichen und persönlichen Nähe zu den Beschuldigten eine besondere Bedeutung zu. Bei schwerer wiegenden Delikten oder wiederholter Delinquenz ist es erforderlich, zeitnah mit den formellen und informellen Mitteln des Jugendstrafrechts zu reagieren, deutlich und unmissverständlich Grenzen zu setzen sowie Verhaltensalternativen aufzuzeigen. Die folgenden Richtlinien sollen die Zusammenarbeit der mit Jugendkriminalität befassten Institutionen noch enger und effektiver aufeinander abstimmen, um ein zeitnahes, gemeinsames, individuelles und ursachenorientiertes Vorgehen unter Berücksichtigung der Tatumstände, der Persönlichkeit des Tatverdächtigen und seines sozialen Umfelds zu gewährleisten. Die Richtlinien sollen weiter zur verstärkten Nutzung der Möglichkeiten des Jugendgerichtsgesetzes zur Vermeidung förmlicher Gerichtsverfahren (Diversion und vereinfachtes Jugendverfahren) beitragen. Diese Richtlinien hindern die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Beurteilungs- und Ermessensspielraums nicht, bei Vorliegen der hier angenommenen Voraussetzungen im Einzelfall von anderen Reaktionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Die folgenden Grundsätze gehen den Richtlinien für das Jugendgerichtsgesetz vor und konkretisieren bei Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden die gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justiz- und Innenministeriums zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei vom 15. Dezember 2014 Az.: 4111-0050-JUM; 3-1268/22-IM, Die Justiz 2015 S. 20. - 2.
Anwendungsbereich
Vorbemerkung Die Anwendung der Einstellungsvorschriften nach § 45 JGG darf nicht zu einer Missachtung der Unschuldsvermutung und zu einer Einschränkung von Verteidigungsrechten führen. Liegt kein für eine Anklageerhebung hinreichender Tatverdacht vor, so ist das Verfahren nach § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) einzustellen. Die Anwendung des § 45 Absatz 1 und 2 JGG kommt jedoch auch bei nicht geständigen Beschuldigten in Betracht, sofern der Tat- und Schuldnachweis auf andere Weise geführt werden kann, der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht ernstlich bestreitet und zur Mitwirkung bereit ist (Freiwilligkeitsprinzip). § 45 Absatz 3 JGG bleibt unberührt. Zudem verfügt die Staatsanwaltschaft auch nach § 31a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) über weit reichende Einstellungsmöglichkeiten im Bereich der so genannten Konsumverfahren. Sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, so soll eine vorrangige Anwendung von § 31a BtMG vor § 45 JGG geprüft werden. Das nachfolgend dargestellte abgestufte Vorgehen (Stufenmodell) soll bei hinreichendem Tatverdacht eine angemessene staatliche Reaktion gewährleisten. Die Staatsanwaltschaft wendet die Reaktionsmöglichkeiten des Jugendgerichtsgesetzes (Diversion, vereinfachtes Jugendverfahren und förmliches Jugendverfahren) in folgender Abstufung an: - 2.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
§ 45 Absatz 1 JGG wird bei leichten Taten erstmals auffälliger Beschuldigter angewandt, wenn es sich um jugendtypisches Fehlverhalten mit geringem Schuldgehalt und geringer Auswirkung der Straftat handelt, das über die von der Entdeckung der Tat und den vom Ermittlungsverfahren ausgehenden Wirkungen hinaus keine erzieherischen Maßnahmen erfordert. Im Wiederholungsfall wird die Anwendung von § 45 Absatz 1 JGG regelmäßig ausgeschlossen sein. Nur ausnahmsweise kann auch im Wiederholungsfall von der Verfolgung nach dieser Vorschrift abgesehen werden, wenn der Beschuldigte längere Zeit nicht auffällig geworden ist oder das Delikt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut oder die Art der Tatbegehung von der vorangegangenen Straftat erheblich abweicht. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob nicht zumindest ein Gespräch mit den Beschuldigten geboten ist. Als jugendtypische Straftaten geringen Gewichtes können neben den in der Anlage genannten Delikten auch andere Verfehlungen in Betracht kommen, die durch die Gesamtumstände als geringfügig eingestuft werden können. Entscheidend bleiben bei jeder Verfehlung die Umstände des Einzelfalles. - 2.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
Eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Absatz 2 JGG kommt erst dann in Betracht, wenn § 45 Absatz 1 JGG nicht anzuwenden ist. Das Subsidiaritätsprinzip gebietet es, dass sich der Staat mit erzieherischen Maßnahmen immer dort zurückhält, wo solche Maßnahmen bereits von den Eltern oder anderen mit der Erziehung in erster Linie befassten Personen ergriffen worden sind. Erzieherische Reaktionen aus dem sozialen Umfeld des Jugendlichen in zeitnahem Anschluss an die Tat reichen häufig aus, eine Unrechtseinsicht herbeizuführen und das künftige Verhalten zu beeinflussen. Einer solchen Maßnahme steht das ernsthafte Bemühen des Beschuldigten gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu erreichen. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist, auch außerhalb der Diversion, angesichts der tatbezogenen Auseinandersetzung mit den Folgen für das Opfer gerade bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten von großem erzieherischem Wert. Es soll daher in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs angezeigt ist. Die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 45 Absatz 2 Satz 2 JGG) sollte nach Möglichkeit vom Jugendamt oder einem freien Träger in seinem Auftrag vermittelt werden. Ist eine erzieherische Reaktion noch nicht erfolgt oder erscheinen weitere Einwirkungen notwendig, so leitet die Staatsanwaltschaft geeignete erzieherische Maßnahmen ein, wenn sie weder die Beteiligung des Richters nach § 45 Absatz 3 JGG noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Ein Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 Absatz 2 JGG kommt insbesondere bei wiederholter Begehung derjenigen Delikte in Betracht, bezüglich derer das Verfahren im Erstfall sanktionslos gemäß § 45 Absatz 1 JGG eingestellt werden kann, sowie bei Taten, die schwerer wiegen als die in der Anlage genannten Delikte. Das richterliche Erziehungsverfahren (§ 45 Absatz 3 JGG) hat gegenüber dem förmlichen Jugendstrafverfahren den Vorteil, dass ohne die belastende Förmlichkeit einer Antrags- oder Anklageschrift die richterliche Reaktion schnell und in einem informellen Erziehungsgespräch erfolgen kann. Dieses Verfahren kommt im Einzelfall bei Delikten leichter und mittlerer Kriminalität einschließlich der Wiederholungstaten in Betracht, bei denen erzieherische Maßnahmen über § 45 Absatz 2 JGG hinaus erforderlich, die des § 45 Absatz 3 JGG aber ausreichend erscheinen. - 2.3
§ 47 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1 JGG
Regt das Jugendgericht zur Vermeidung einer Verurteilung an, das Verfahren gemäß § 47 JGG (vorläufig) einzustellen, so überprüft die Staatsanwaltschaft, ob die Gesichtspunkte, die sie zu einem Antrag gemäß § 76 JGG oder einer Anklage bewogen haben, einer Zustimmung entgegenstehen. Bei ihrer Entscheidung berücksichtigt die Staatsanwaltschaft die inzwischen eingetretenen Veränderungen beim Angeklagten und die beabsichtigten oder durchgeführten erzieherischen Maßnahmen. - 2.4
Vereinfachtes Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG
Eine Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren kommt bei (wiederholten) Straftaten der leichten oder der mittleren Kriminalität in einfach gelagerten Fällen (geringer Aufklärungsaufwand, Beispiel: Geständnis liegt vor) in Betracht, in denen eine oder mehrere Einstellungen nach § 45 JGG bereits erfolgt sind beziehungsweise auf Grund der Umstände der Tat oder in der Persönlichkeit des Jugendlichen liegende Gründe eine Diversion nicht (mehr) angezeigt ist, aber eine formelle Verhandlung noch nicht erforderlich erscheint. Das vereinfachte Jugendverfahren hat gegenüber dem förmlichen Jugendverfahren insbesondere den Vorteil, dass die Verhandlung im vereinfachten Jugendverfahren in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft und der Jugendgerichtshilfe erfolgen kann. Es stellt daher ein geeignetes Mittel dar, auf delinquentes Verhalten Jugendlicher sehr zeitnah zu reagieren. Es gilt daher, von der Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren verstärkt Gebrauch zu machen. Die Ausführungen dieser Richtlinien zum vereinfachten Jugendverfahren bei Jugendlichen sind sinngemäß auf das beschleunigte Verfahren bei Heranwachsenden anzuwenden. - 2.5
Förmliches Jugendstrafverfahren
Eine Entscheidung im förmlichen Jugendverfahren ist in den Fällen zu beantragen, in denen Diversionsmaßnahmen oder die Durchführung eines vereinfachten Jugendverfahrens nicht in Betracht kommen und eine formelle Verhandlung vor dem Jugendgericht erforderlich erscheint. Dies sind insbesondere auch Verfahren, deren Aufklärung sich besonders schwierig oder langwierig gestaltet und die somit nicht für Diversionsmaßnahmen oder die Erledigung im Rahmen des vereinfachten Jugendverfahrens geeignet sind. - 3.
Verfahren und Verfahrensbeteiligte
- 3.1
Polizei
Für einen optimalen Informationsfluss und die Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens durch Parallelbefassung der Institutionen ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe unerlässlich. Deshalb hat sich die örtliche Bearbeitungszuständigkeit bei kindlichen und jugendlichen Delinquenten, abgesehen von Sofortmaßnahmen, grundsätzlich an deren Wohnsitz zu orientieren, wie es für die Jugendhilfe (§§ 86 und 86 a des Sozialgesetzbuch Achtes Buch), die Staatsanwaltschaft (§ 143 des Gerichtsverfassungsgesetzes und § 42 JGG) und das Jugendgericht (§ 42 JGG) gilt. Die Bearbeitung nach dem Wohnortprinzip gilt nicht für Heranwachsende oder wenn der Delinquent seinen Wohnsitz außerhalb des Landes Baden-Württemberg hat. Die näheren Einzelheiten sind gesondert zu regeln. Um eine zeitnahe Parallelbefassung aller mit Jugenddelinquenz befasster Institutionen zu gewährleisten und alle Möglichkeiten zur Vermeidung förmlicher Gerichtsverfahren und förmlicher Verurteilung auszuschöpfen, ist es erforderlich, dass die Ermittlungen der Polizei sämtliche Informationen berücksichtigen, die für eine zeitnahe Entscheidung der Staatanwaltschaft über den weiteren Verfahrensverlauf relevant sind. Die Polizei wird nach einer ersten Einordnung des Falles zwischen den verschiedenen Fallgruppen des Stufenmodells unterscheiden und ihre Ermittlungstätigkeit an den hiernach zu treffenden Maßnahmen ausrichten: - 3.1.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
Bei den in der Anlage genannten Straftaten sind eingehende Ermittlungen zu Person und sozialem Umfeld des Beschuldigten in der Regel entbehrlich, wenn es sich um die erste Auffälligkeit handelt, der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht ernstlich bestreitet und keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass er in Zukunft weitere Straftaten begehen wird. Die Polizei beschränkt sich in diesen Fällen regelmäßig auf ein anlässlich der Beschuldigtenvernehmung zu führendes normverdeutlichendes Gespräch, welches den Beschuldigten beeindrucken und somit die erzieherische Wirkung des Ermittlungsverfahrens unterstützen soll. Bei Jugendlichen sollen hierzu die Erziehungsberechtigten und die gesetzlichen Vertreter hinzugezogen werden. Gleichzeitig sollen die Beschuldigten in geeigneten Fällen auf Hilfsangebote staatlicher und sozialer Organisationen, insbesondere von Trägern der Jugendhilfe, hingewiesen werden und gegebenenfalls eine entsprechende Handreichung ausgehändigt bekommen. Hält die Polizei danach weitere Maßnahmen für entbehrlich, so teilt sie dies unter gleichzeitiger Übersendung der Akten der Staatsanwaltschaft mit. - 3.1.2
Vorgehen in den weiteren Stufen
Liegt nach erster Einschätzung der Polizei ein hinreichender Tatverdacht vor und kommt nach ihrer Auffassung eine Befassung im Rahmen der weiteren Stufen des Stufenmodells (Nummer 2.2 bis 2.5) in Betracht, nimmt der Sachbearbeiter der Polizei nach Abschluss der unter Nummer 3.1.3 näher bezeichneten Maßnahmen zeitnah zur Anzeigenaufnahme mit dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung der lokalen Vereinbarungen in geeigneter Form (E-Mail, Telefax oder Telefon) Kontakt auf. Diese Kontaktaufnahme unterbleibt, wenn die polizeilichen Ermittlungen nach Durchführung der unter Nummer 3.1.3 näher bezeichneten Maßnahmen abgeschlossen sind. In diesem Fall übersendet die Polizei unverzüglich die Vorgänge an die Staatsanwaltschaft. Bei der Vorlage des Anzeigenvorgangs an die Staatsanwaltschaft schließt die Polizei in der Regel eine Mehrfertigung der wesentlichen Aktenteile (Erfassungsbeleg Straftat, Erfassungsbeleg Beschuldigter, Niederschrift über die Beschuldigtenvernehmung und Schlussbericht) für die Jugendgerichtshilfe an. Der Staatsanwalt entscheidet, gegebenenfalls nach vorheriger Heranziehung entsprechender EDV- und Bundeszentralregisterauszüge, über das weitere Vorgehen (Diversion, vereinfachtes Jugendverfahren oder förmliches Jugendverfahren) und unterrichtet den Sachbearbeiter der Polizei über die weiteren Maßnahmen. Hierbei soll, neben einer Verfahrensbeschleunigung und Parallelbefassung von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe, der Ermittlungsaufwand der Polizei durch möglichst konkrete Ermittlungsaufträge und eine Begrenzung des Verfahrensstoffes nach §§ 154 und 154a StPO seitens der Staatsanwaltschaft durch Vermeidung nicht gebotener polizeilicher Ermittlungen reduziert werden. Zudem versetzt eine zeitnahe Entscheidung der Staatsanwaltschaft über das weitere Vorgehen die Jugendgerichtshilfe bereits frühzeitig in die Lage, im Rahmen ihres Auftrages in eigener Zuständigkeit gezielt geeignete Maßnahmen einzuleiten. Hält die Staatsanwaltschaft die Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe für erforderlich, wird diese gegebenenfalls über die Polizei über den Sachverhalt und das geplante weitere Vorgehen unterrichtet. - 3.1.3
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
Ist auf Grund dieser Richtlinien eine Einstellung nach § 45 Absatz 1 JGG regelmäßig ausgeschlossen und eine Diversion nach §§ 45 Absatz 2 und 3 JGG in Betracht zu ziehen, sollen regelmäßig vor Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft insbesondere folgende für eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft bedeutsamen Umstände ermittelt und aktenkundig gemacht werden: - –
Wirkung des Kontaktes mit der Polizei auf den Beschuldigten,
- –
erzieherische Maßnahmen, die Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter bereits getroffen haben oder die zu erwarten sind,
- –
nachteilige Folgen der Tat für den Beschuldigten, wie zum Beispiel eigener materieller oder gesundheitlicher Schaden, Verlust der Ausbildungs- oder Arbeitsstelle und
- –
Schadenersatzleistung oder Entschuldigung, wenn und soweit sie bereits erfolgt sind; andernfalls ist bei den Ermittlungen darauf zu achten, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich möglich und sinnvoll erscheint; in geeigneten Fällen sind Beschuldigter und Geschädigter zu befragen, ob sie bereit sind, an einem Täter-Opfer-Ausgleich mitzuwirken; ist dies der Fall, soll unverzüglich eine entsprechende Entscheidung der Staatsanwaltschaft herbeigeführt werden.
Mit Blick auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zum weiteren Verfahrensgang soll die Polizei in geeigneten Fällen eine in Betracht kommende sofortige Entschuldigung beim Opfer sowie eine sofortige Schadenswiedergutmachung an Ort und Stelle anregen. Im Anschluss hält die Polizei regelmäßig und möglichst zeitnah zur Anzeigenaufnahme mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache über die weiteren Ermittlungen. Hält diese eine Erledigung nach § 45 Absatz 2 JGG für geboten, soll insbesondere erörtert werden - –
welche erzieherische Reaktion in Betracht zu ziehen ist und
- –
ob hierfür eine Einbeziehung der Jugendgerichtshilfe angebracht erscheint.
Beispielhaft kommen als erzieherische Maßnahmen namentlich in Betracht: - –
Teilnahme an einem Verkehrsunterricht,
- –
Teilnahme an sozialpädagogischen Maßnahmen, die das Jugendamt allgemein anbietet oder vermittelt,
- –
erzieherisches Gespräch durch Mitarbeiter des Jugendamts oder durch den Jugendsachbearbeiter der Polizei beziehungsweise gemeinsames erzieherisches Gespräch durch Mitarbeiter des Jugendamts und den Jugendsachbearbeiter der Polizei,
- –
kurzzeitige Hilfsdienste durch gemeinnützige Arbeit,
- –
Arbeit zur Schadenswiedergutmachung,
- –
kleinere Geldzahlungen an gemeinnützige Einrichtungen oder
- –
Vermittlung eines Täter-Opfer-Ausgleiches durch die Jugendgerichtshilfe oder einen vom Jugendamt beauftragten freien Träger.
In Fällen, in denen eine Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe nicht erforderlich erscheint, bespricht die Polizei die erzieherischen Maßnahmen mit dem Beschuldigten. Neben dem Beschuldigten sind auch die Sorgeberechtigten zu beteiligen. Dabei ist zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine jugendstrafrechtliche Sanktion, sondern lediglich um eine Anregung handelt, die zu einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft führen kann. Erforderlich ist weiter, dass die Beschuldigten die Anregung annehmen und die Sorgeberechtigten nicht widersprechen. Die Polizei stellt fest, ob und inwieweit eine angeregte oder vermittelte erzieherische Maßnahme durchgeführt wurde. Ist die Polizei nach einem Gespräch mit dem Beschuldigten der Auffassung, dass die erzieherische Wirkung des Gesprächs weitere Einwirkungen erübrigt oder zwischenzeitlich aus dem sozialen Umfeld des Beschuldigten eine erzieherische Reaktion getroffen wurde, sind bei der Staatsanwaltschaft entsprechende Änderungen anzuregen. In Fällen, in denen eine Befassung der Jugendgerichtshilfe zur Durchführung der erzieherischen Maßnahme erforderlich erscheint, verständigt die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls über die Polizei, hierüber die Jugendgerichtshilfe und weist darauf hin, welche freiwilligen Leistungen des Beschuldigten als notwendige Voraussetzung für eine Einstellung des Verfahrens seitens der Staatsanwaltschaft angesehen werden, und bittet die Jugendgerichtshilfe um Mitwirkung bei der Durchführung. Die Jugendgerichtshilfe stellt fest, ob und inwieweit eine von ihr angeregte oder vermittelte erzieherische Maßnahme durchgeführt wurde. Der Jugendgerichtshilfe sind die zur Durchführung der erzieherischen Maßnahme erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Polizei übersendet sodann mit einem entsprechenden Hinweis (weitere Befassung durch Jugendgerichtshilfe) die Akten der Staatsanwaltschaft. Erscheinen Beschuldigte nicht bei der Polizei, machen sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch oder bestreiten sie ernstlich den Tatvorwurf, sieht die Polizei von Reaktionen nach Nummer 3.1.1 und 3.1.3 ab und übersendet die Vorgänge nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. - 3.1.4
Erledigung außerhalb der Diversion
Vereinfachtes Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGGIst auf Grund einer ersten Einschätzung der Polizei eine Einstellung nach § 45 JGG auf Grund dieser Richtlinien regelmäßig ausgeschlossen, führt die Polizei entsprechend der Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 Ermittlungen zu Person und sozialem Umfeld des Beschuldigten, zum Zusammenhang zwischen Tat und Täter sowie zum Stand seiner sittlichen und geistigen Reife durch. Anschließend stimmt die Polizei zeitnah ihre weiteren Ermittlungsschritte mit der Staatsanwaltschaft ab und klärt, ob die Staatsanwaltschaft voraussichtlich das vereinfachte Jugendverfahren beantragen wird. Wird ein Antrag auf Befassung im vereinfachten Jugendverfahren seitens der Staatsanwaltschaft angestrebt, unterrichtet regelmäßig die Polizei (Vorabmeldung) hierüber die Jugendgerichtshilfe mit der Bitte, der Staatsanwaltschaft beziehungsweise dem Gericht zeitnah schriftlich oder elektronisch zu berichten. Hierzu stellt sie der Jugendgerichtshilfe die erforderlichen weiteren Informationen zur Verfügung. Die Polizei schließt das Ermittlungsverfahren im Anschluss beschleunigt ab. Förmliches JugendstrafverfahrenBei Straftaten, in denen Diversionsmaßnahmen oder die Durchführung eines vereinfachten Jugendverfahrens nicht in Betracht kommen und eine formelle Verhandlung vor dem Jugendgericht erforderlich erscheint, führt die Polizei die Ermittlungen gemäß PDV 382 durch und übersendet die Akten der Staatsanwaltschaft. Hierzu zählen insbesondere Verfahren, deren Aufklärung sich besonders schwierig oder durch die Anhörung einer Vielzahl von Zeugen langwierig gestaltet. Die Nummern 2 und 3 der gemeinsamen Verwaltungsvorschriften des Justiz- und Innenministeriums zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei vom 15. Dezember 2014 bleiben hiervon unberührt. Sofern eine Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe bereits während des Ermittlungsverfahrens erforderlich erscheint, informiert die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls über die Polizei, die Jugendgerichtshilfe und bittet diese um Mitwirkung. Nach Abschluss der Ermittlungen übersendet die Polizei eine Mehrfertigung der wesentlichen Aktenteile der Jugendgerichtshilfe. Hat das Jugendamt Aufgaben der Jugendgerichtshilfe anderen Stellen übertragen, ist bei einvernehmlicher Regelung zwischen Staatsanwaltschaft, Jugendamt und Polizei eine unmittelbare Unterrichtung dieser Stellen zulässig (PDV 382 Nummer 3.2.7). Darüber hinaus soll in geeigneten Fällen der Beschuldigte beziehungsweise dessen Erziehungsberechtigter und der gesetzliche Vertreter auf Hilfsangebote staatlicher und sozialer Organisationen, insbesondere von Trägern der Jugendhilfe, hingewiesen und gegebenenfalls eine entsprechende Handreichung ausgehändigt werden. Eine vorrangige Fallbearbeitung durch die Polizei erfolgt bei in das Initiativprogramm „Jugendliche Intensivtäter“ aufgenommenen Personen, bei potenziellen Schwellentätern1 und bei Anordnung der Untersuchungshaft. - 3.1.5
Weitere Hinweise zur Sachbearbeitung durch die Polizei
Mit der Bearbeitung der vorgenannten Jugendsachen sind die fachlich qualifizierten und für den Umgang mit Jugendlichen besonders fortgebildeten Jugendsachbearbeiter der Schutz- und Kriminalpolizei zu betrauen. Kommen Leistungen der Jugendhilfe, insbesondere bei Vorliegen einer erkennbaren Gefährdung, schon während der polizeilichen Ermittlungen in Frage, unterrichtet die Polizei unverzüglich das Jugendamt. In allen anderen Fällen ist spätestens mit der Abgabe der Ermittlungsvorgänge an die Staatsanwaltschaft das Jugendamt zu unterrichten, sofern eine Gefährdung vorliegt. Sofern eine Einziehung von Tatwerkzeugen oder von durch die Tat hervorgebrachten Gegenständen in Betracht kommt, insbesondere bei Vergehen nach dem Waffengesetz und dem Urheberrechtsgesetz, werden der Beschuldigte und die Sorgeberechtigten befragt, ob auf diese Gegenstände verzichtet beziehungsweise bei Ton- und Bildträgern oder EDV-Programmen in die Löschung eingewilligt wird. - 3.2
Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaften streben im Rahmen der örtlichen Gegebenheiten eine möglichst weitgehende Regionalisierung der Zuständigkeiten der Jugenddezernate an, sodass im optimalen Fall jeder Polizeidienststelle, dem Jugendamt und den Einrichtungen der Jugendhilfe feste Ansprechpartner der Staatsanwaltschaften zur Verfügung stehen. Dies ermöglicht es, Entscheidungsmaßstäbe der Staatsanwaltschaft für die weiteren am Jugendstrafverfahren beteiligten Institutionen transparent zu machen und die Abläufe und Zusammenarbeitsstrukturen zwischen den Institutionen vor Ort entscheidend zu verbessern. Wird das Verfahren nicht gemäß der §§ 153, 154, 154a oder 170 Absatz 2 StPO oder § 31a BtMG eingestellt, verfährt die Staatsanwaltschaft wie folgt: - 3.2.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 45 Absatz 1 JGG ein, weist sie in der Einstellungsmitteilung darauf hin, welche Tat sie dem Beschuldigten zur Last legt und dass sein Verhalten missbilligt wird. Die Staatsanwaltschaft weist ferner darauf hin, dass er bei künftigen Verstößen nicht mit einer folgenlosen Einstellung des Verfahrens rechnen kann. Bei jugendlichen Beschuldigten ist § 67 Absatz 2 JGG zu beachten. - 3.2.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
Die Staatsanwaltschaft entscheidet über die weiteren Ermittlungsschritte, legt möglichst präzise Art und Umfang einer erzieherischen Maßnahme als Voraussetzung einer Einstellung nach § 45 Absatz 2 JGG fest und entscheidet, ob zur Durchführung der erzieherischen Maßnahme eine Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe in Frage kommt. Nach Durchführung der erzieherischen Maßnahme prüft die Staatsanwaltschaft auf Grundlage der Akten der Polizei und gegebenenfalls des Berichts der Jugendgerichtshilfe die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 45 Absatz 2 JGG. Die Staatsanwaltschaft sieht gemäß § 45 Absatz 2 JGG von der Verfolgung ab, wenn sie die bereits durchgeführten Erziehungsmaßnahmen für ausreichend hält. Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 45 Absaz 2 JGG ein, weist sie in der Einstellungsmitteilung darauf hin, welche Tat sie dem Beschuldigten zur Last legt und dass sein straffälliges Verhalten missbilligt wird. Die Staatsanwaltschaft weist ferner darauf hin, dass er bei künftigen Verstößen mit einer jugendgerichtlichen Sanktion rechnen muss. Bei jugendlichen Beschuldigten ist § 67 Absatz 2 JGG zu beachten. Kommt im Einzelfall eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Absatz 3 JGG in Betracht, so übersendet die Staatsanwaltschaft die Akten dem Gericht mit einer Anregung gemäß Satz 1 der Vorschrift. Davon unterrichtet die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls über die Polizei, die Jugendgerichtshilfe mit der Bitte, dem Gericht beschleunigt zu berichten. Die Staatsanwaltschaft kann sich auf die Anregung beschränken, dass die von der Jugendgerichtshilfe vorgeschlagenen Maßnahmen oder Auflagen angeordnet werden sollen. - 3.2.3
Erledigung außerhalb der Diversion
Vereinfachtes Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGGBei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen macht die Staatsanwaltschaft vom vereinfachten Jugendverfahren gemäß den §§ 76 ff. JGG bevorzugt Gebrauch. Dabei berücksichtigt sie, dass § 78 Absatz 3 JGG eine erzieherisch wünschenswerte, zeitnah auf die Tat folgende Reaktion ebenso wie eine jugendgemäße formlose Gestaltung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft ermöglicht. Die Staatsanwaltschaft unterrichtet, gegebenenfalls über die Polizei (Vorabmeldung), die Jugendgerichtshilfe über die geplante Durchführung des vereinfachten Jugendverfahrens mit der Bitte um Mitwirkung. Förmliches JugendstrafverfahrenIn Fällen, in denen bei hinreichendem Tatverdacht weder eine Einstellung im Rahmen der Diversion noch die Einleitung eines vereinfachten Jugendverfahrens in Betracht kommt, teilt die Staatsanwaltschaft dem polizeilichen Sachbearbeiter die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen mit und erhebt gegebenenfalls Anklage im Rahmen des formellen Jugendstrafverfahrens. Sofern dies angebracht erscheint, unterrichtet die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls über die Polizei (Vorabmeldung), die Jugendgerichtshilfe über ihre Entscheidung und bittet um Mitwirkung. - 3.3.1
Diversion nach § 45 Absatz 1 JGG
Im Rahmen von Verfahren, deren Einstellung nach § 45 Absatz 1 JGG erfolgt, ist eine Befassung der Jugendgerichtshilfe grundsätzlich nicht erforderlich. - 3.3.2
Diversion nach § 45 Absatz 2 und 3 JGG
Wird die Jugendgerichtshilfe durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei um Mitwirkung gebeten, wird sie im Rahmen ihres Auftrages in eigener Zuständigkeit tätig. Sie prüft dabei auch, ob weitergehende Hilfen gemäß des Sozialgesetzbuch Achtes Buch einzuleiten sind. Kommt sie nach fachlicher Einschätzung des Einzelfalles zu der Auffassung, dass die erzieherische Wirkung des Gespräches weitere Einwirkungen erübrigt oder dass andere als die von der Staatsanwaltschaft genannten freiwilligen Leistungen erzieherisch angezeigt sind, regt sie bei der Staatsanwaltschaft entsprechende Änderungen an. Die Jugendgerichtshilfe kann dem Vorrang des Erziehungsgedankens bei der Anwendung der §§ 45 und 47 JGG zudem insbesondere dadurch Geltung verschaffen, dass sie über bereits im sozialen Umfeld ergriffene Erziehungsmaßnahmen informiert, auf vorhandene pädagogische Angebote hinweist und eigene erzieherische Initiativen entfaltet. Insoweit kommt auch die Durchführung eines sogenannten „erzieherischen Gespräches“ in Betracht. Im Anschluss berichtet die Jugendgerichtshilfe den Beteiligten über erfolgte erzieherische Maßnahmen. In Fällen des § 45 Absatz 3 JGG (richterliches Erziehungsverfahren) berichtet sie darüber hinaus auf Bitte der Staatsanwaltschaft auch dem Gericht. - 3.3.3
Erledigung außerhalb der Diversion
Vereinfachtes Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGGZieht die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines vereinfachten Jugendverfahrens in Betracht, bittet sie die Jugendgerichtshilfe, in der Regel über eine entsprechende Mitteilung durch die Polizei, um Mitwirkung. Die Jugendgerichtshilfe vereinbart möglichst zeitnah einen Termin mit dem Beschuldigten (und gegebenenfalls dessen Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter bei jugendlichen Beschuldigten) und berichtet, in der Regel schriftlich oder elektronisch, der Staatsanwaltschaft beziehungsweise dem Gericht in Fällen über die schon bekannten Tatsachen hinaus, wie im sozialen Umfeld auf die Verfehlung des Beschuldigten reagiert wurde und welche Wirkung dies auf ihn gehabt hat. Weiter kann die Jugendgerichtshilfe eine mögliche Sanktion im Rahmen des vereinfachten Jugendverfahrens anregen. Auf eine persönliche Teilnahme am vereinfachten Jugendverfahren wird seitens der Jugendgerichtshilfe häufig verzichtet werden können. Förmliches JugendstrafverfahrenIn Fällen, in denen weder eine Einstellung im Rahmen der Diversion noch die Einleitung eines vereinfachten Jugendverfahrens seitens der Staatsanwaltschaft in Betracht gezogen wird, wird die Jugendgerichtshilfe um Mitwirkung gebeten. Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe kann in der Hauptverhandlung eine mögliche konkrete Sanktion anregen. - 3.3.4
Weitere Hinweise zur Befassung der Jugend(gerichts)hilfe
Erscheinen nach Auffassung der Polizei Leistungen, insbesondere bei Vorliegen einer erkennbaren Gefährdung, der Jugendhilfe schon während der polizeilichen Ermittlungen notwendig, unterrichtet diese unverzüglich das Jugendamt. Das Jugendamt prüft, ob und gegebenenfalls welche Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen. - 4.
Zusammenarbeit in Folge delinquenten Verhaltens von Kindern
Kriminologische Erkenntnisse weisen darauf hin, dass die Begehung von mehreren oder schwerwiegenden Straftaten sowie das Auftreten sozial auffälligen Verhaltens2 bereits im Kindesalter Indikatoren für eine spätere verfestigte Straffälligkeit und zum Teil massive Fehlentwicklungen im Sozialverhalten und damit verstärkten Hilfebedarf darstellen können. Daher ist es erforderlich auf Straftaten und sozial auffälliges Verhalten von Kindern noch frühzeitiger und individueller zu reagieren. Hierbei kommt insbesondere der Kooperation zwischen Polizei und Jugendhilfe entscheidende Bedeutung zu. Zielsetzung dieser Zusammenarbeitsrichtlinien ist daher vor allem eine frühzeitige und persönliche Befassung der Jugendhilfe mit mehrfach delinquenten Kindern im Regelfall ab der zweiten strafrechtlichen Auffälligkeit beziehungsweise bereits bei der ersten Auffälligkeit, sofern nach Einschätzung der Polizei kein kindstypisches, entwicklungsbedingtes Delikt vorliegt und mit der Begehung weiterer Straftaten zu rechnen ist. Auch nach (mehrfacher) sozialer Auffälligkeit von Kindern soll durch eine frühzeitigere persönliche Befassung des Jugendamtes den oben genannten kriminologischen Erkenntnissen Rechnung getragen werden. Hierzu erhebt die Polizei unter Beachtung der PDV 382 Angaben zur Tat, zur Person und zum sozialen Umfeld des straffälligen Kindes sowie zum Stand seiner sittlichen und geistigen Reife. Dabei sollen in Absprache mit den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vor Ort weitere bedeutsame Umstände aktenkundig gemacht werden. Über die Ergebnisse der Ermittlungen zur Person und zum Umfeld des tatverdächtigen beziehungsweise sozial auffälligen Kindes berichtet die Polizei schriftlich oder elektronisch und gegebenenfalls zusätzlich mündlich umgehend dem Jugendamt. - 5.
Kooperation von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe zur Umsetzung dieser Richtlinien
Regelmäßige Zusammenkünfte auf allen Entscheidungsebenen von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe einschließlich der beteiligten Ministerien sollen sicherstellen, dass regional und überregional auftretende Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit der mit delinquentem Verhalten junger Menschen befassten Institutionen, Probleme einer ökonomischen und jugendgerechten Gestaltung der Ermittlungen insbesondere im Bereich der Diversion sowie dem vereinfachten Jugendverfahren und Fragen des gedeihlichen Zusammenwirkens rasch und einvernehmlich gelöst werden. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe setzt gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Aufgabenbereiche voraus. Dazu gehört auch, dass die Staatsanwaltschaft der Polizei und Jugendhilfe ihre allgemeinen Entscheidungsmaßstäbe im Jugendstrafverfahren transparent macht, da hiervon maßgeblich der sinnvolle Einsatz der Ressourcen von Polizei und Jugend(gerichts)hilfe abhängt. Polizeipräsidien, Staatsanwaltschaften, Jugendgerichte, Jugendämter und BewährungshilfeDie leitenden Beamten der Staatsanwaltschaft, der Polizeipräsidien und der Jugendämter eines Bezirks treffen einmal jährlich zu Koordinierungsgesprächen unter Beteiligung von Praxisvertretern der jeweiligen Institutionen zusammen. Hierbei legen die Beteiligten im Rahmen eines Erfahrungsaustausches örtliche Verfahrensweisen, Kommunikationswege und Ansprechpartner zur Umsetzung dieser Richtlinien fest. Hierzu sind soweit möglich auch Vertreter der örtlichen Jugendgerichte, der Bewährungshilfe sowie weiterer mit Fragen der Jugendkriminalität befasster Institutionen einzuladen. Die Polizeipräsidien laden zudem in geeigneten Fällen Vertreter der Staatsanwaltschaft und Jugendamt zu den Dienstbesprechungen der Jugendsachbearbeiter ein. Zu den Dienstbesprechungen der Staatsanwaltschaft und der Jugendämter werden bei entsprechendem Bedarf Vertreter anderer mit Jugendkriminalität befasster Institutionen eingeladen. Eine der zentralen Zielsetzungen der Kooperation vor Ort ist zudem die Förderung und der Ausbau erzieherischer Maßnahmen insbesondere im Rahmen der Diversion nach § 45 Absatz 2 JGG. Diese haben in erster Linie dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat erfolgen, konsequent vollzogen und in Bezug zur begangenen Straftat des Beschuldigten stehen, um eine möglichst große erzieherische Wirkung zu entfalten. Insbesondere die Delikte des Ladendiebstahls, der leichten Körperverletzung und der Sachbeschädigung, denen der weit überwiegende Teil der Kriminalität junger Menschen zuzurechnen ist, bieten hierfür eine Vielzahl von erzieherischen Ansätzen. So sollten die Kooperationspartner vor Ort darauf hinwirken, beispielsweise den Einzelhandel bei Ladendiebstählen, die Verkehrbetriebe bei Sachbeschädigungen und soziale Einrichtungen im Bereich der Körperverletzungsdelikte zur Durchführung erzieherisch wirksamer Diversionsmaßnahmen einzubeziehen. Hierdurch ist es in besonderer Weise möglich, dem Vorrang des Erziehungsgedankens durch Maßnahmen der Diversion zur Verhinderung jugendstrafrechtlicher Sanktionen Geltung zu verschaffen. Es muss daher das Bestreben aller Kooperationspartner sein, bedarfsgerechte Angebote für Diversionsmaßnahmen vor Ort zu erschließen und vorzuhalten. HospitationenDie örtlichen Polizeidienstellen sollen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der für ihren Bereich zuständigen Jugendämter Hospitationen in der polizeilichen Jugendsachbearbeitung anbieten. Die Jugendämter sollen ihrerseits prüfen, ob sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Teilnahme an entsprechenden Hospitationen bei den örtlichen Polizeidienststellen sowie, unter Berücksichtigung der Grenzen von Sozialgeheimnis und Legalitätsprinzip und bei Einverständnis der betroffenen Jugendlichen, den mit der Jugendsachbearbeitung beauftragten Beamtinnen und Beamten der örtlichen Polizeidienststellen die Hospitation im Bereich der Jugendhilfe und Jugendgerichtshilfe ermöglichen können. Im Übrigen sollen gegenseitige Angebote für Hospitationsmöglichkeiten aller am Verfahren beteiligter Kooperationspartner im durchführbaren Rahmen ermöglicht werden, um gelingende Netzwerkbedingungen zu schaffen. - 6.
Inkrafttreten, Außerkrafttreten und Befristung
Diese Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Januar 2019 in Kraft. Gleichzeitig treten die Gemeinsamen Richtlinien des Justizministeriums, des Innenministerium und des Sozialministeriums zur Förderung von Diversionsmaßnahmen und zur Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe bei Straftaten jugendlicher und heranwachsender Beschuldigter sowie delinquentem Verhalten von Kindern vom 13. Dezember 2011 (Az.: JUM 4201/0091, IM 3-1210/40/362, SM 22-6940-3, Die Justiz 2012 S. 7) außer Kraft. Die vorliegende Verwaltungsvorschrift tritt am 31. Dezember 2025 außer Kraft. AnlageAllgemeine Straftaten: - –
Leichte Fälle der Beleidigung (§ 185 StGB),
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Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) bei geringer Schuld und leichten Folgen,
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Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242, 246 und 247 StGB) geringwertiger Sachen (§ 248a StGB),
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Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248b StGB), soweit eine Fahrerlaubnis nicht erforderlich ist,
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Hehlerei (§ 259 StGB), soweit § 248a StGB gilt,
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Betrug (§ 263 StGB), soweit § 248a StGB gilt, auch in Zusammenhang mit Urkundenfälschung (§ 267 StGB),
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Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB),
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Missbrauch von Ausweispapieren (§ 281 StGB) und
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leichte Fälle der Sachbeschädigung (§§ 303, 304 StGB).
Verstöße gegen strafrechtliche Nebengesetze: - –
Geringfügige Verstöße gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz,
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geringfügige Verstöße gegen das Urheberrechtsgesetz, sofern wirksam auf die Rückgabe der sichergestellten Vervielfältigungsstücke verzichtet oder wirksam in die Löschung eingewilligt wird und
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geringfügige Vergehen nach dem Waffengesetz, sofern wirksam auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände verzichtet wird.
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